Über die FREIHEIT

Wir Deutschen können uns so herrlich über die Waffen-Vernarrtheit der Amerikaner aufregen. Wie kann man auf sein Recht bestehen, halb-automatische Maschinengewehre unter seinem Kopfkissen zu stapeln, wenn doch immer wieder – und gerade auch in den USA – so schlimme Amokläufe geschehen, bei denen Dutzende von Menschen von einer durchgeknallten, bis zu den Zähnen bewaffneten (meist männlichen) Person regelrecht exekutiert werden? Wieso sind die Amerikaner so immun gegen all die guten Argumente für ein Waffenverbot, die uns Deutschen so logisch erscheinen? Was ist nur los mit den Amis? Die Lösung wäre doch so simpel: Einfach keine Waffen mehr an der Supermarktkasse verkaufen!

Was bei der ganzen Sache aber wirklich interessant ist, ist der tiefe Einblick, den es in die menschliche Psyche gewährt: Dinge, die wir nicht verstehen, verteufeln wir fast schon reflexartig und mit ihnen all die Menschen, denen diese Dinge wichtig sind. Man baut sich in wenigen Sekunden ein Feindbild auf, das sich dann oft ein Leben lang hält.

Dabei ist man seinem eigenen Feindbild oft leider viel ähnlicher als einem lieb ist. Denn das was den Amerikanern ihre Waffen sind, ist den Deutschen ihr heiß geliebtes Auto. Unterm Strich ist das Auto aber vermutlich noch vielfach schlimmer als sein amerikanisches Pendant: Bevor es überhaupt erst genutzt, bzw. gefahren werden kann müssen große Teile des Landes komplett zubetoniert und versiegelt werden. Mit wachsenden Zulassungszahlen und Fahrzeuggrößen steigt dieser Flächenverbrauch jedes Jahr weiter an. Der Ressourcenverbrauch bei der Autoherstellung ist, ungeachtet der Antriebstechnik, grundsätzlich extrem hoch und übersteigt den von Waffen um ein Vielfaches. Hinzu kommt die starke Umweltbelastung durch CO2- und Schadstoff-Emissionen aus dem Betrieb der Fahrzeuge, der zudem auch noch jährlich tausende Verkehrstote zur Folge hat und unsere Innenstädte zu zugestellten Parkplätzen verkommen lässt.

Wie kann es also sein, dass die Amerikaner und die Deutschen Produkte derart vergöttern, die einen so schlechten Einfluss auf das Gesamtwohl der Bevölkerung haben? Um das zu verstehen muss man ein bisschen weiter ausholen. Es geht um persönliche Freiheiten. Beide Länder sind kapitalistische Demokratien, in denen vor allem zwei Dinge im Mittelpunkt stehen: Geld und Freiheit. Da Ersteres ja bekanntlich und zunehmend ungleich verteilt ist, klammern sich weite Teile der Bevölkerung umso heftiger an ihre vermeintlichen Freiheiten und reagieren mit großer Aggression wenn man ihnen diese letzte Bastion auch noch beschneiden will.

Während die Eliten an der Ost- und Westküste der USA dem Thema Waffenverbot recht offen gegenüberstehen, sind es gerade die ärmeren Landesteile in der Mitte, die sich am meisten für ihre Freiheit einsetzen, Waffen besitzen zu dürfen. Für sie ist es seit den Zeiten der Siedlertrecks Richtung Westen ein naturgegebenes Grundrecht, das man sich als Amerikaner mit einer Waffe selbst verteidigen darf, ja sogar muss, weil man sich auf den Staat in dieser Wildnis ja nicht verlassen kann. Diese aus der Zeit gefallene Argumentation und hoch-emotionale Beziehung zu den Waffen wird von der Waffenlobby natürlich mit allen Mitteln genährt. Und mit einer so großen Wählergruppe hinter sich versammelt, kann diese Lobby in  Washington so ziemlich alles durchsetzen, was sie will.

In Deutschland gibt es, wie gesagt, einen ganz ähnlichen, sich genauso selbst verstärkenden Teufelskreis. Dieser dreht sich halt nur nicht um Waffen, sondern um Autos. Auch wir verknüpfen mit dem Auto eine Form von persönlicher Freiheit, auf die wir nicht mehr verzichten wollen. Es geht sogar so weit, dass eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung oder Führerscheinprüfungen im Alter als Freiheitsberaubung empfunden werden. Und das obwohl Raserei und Fahruntauglichkeit zu den häufigsten Unfallursachen gehören und zu den schlimmsten Unfällen führen. Und auch hierzulande wird diese „Freiheit“ von der Automobil-Lobby kultiviert und auf politischer Ebene für ihre Zwecke ausgeschlachtet. Wie sonst kann das zögerliche Verhalten der Regierung und ihrer Ämter beim Diesel-Skandal oder ein Erlass wie die Verschrottungsprämie erklärt werden? Wie kann die Regierung Steuergelder dafür ausgeben, voll funktionsfähige Autos verschrotten zu lassen, in die so viele Arbeitsstunden und Materialien aus der ganzen Welt geflossen sind? Ganz einfach: Es ist ein Geschenk der Politik an die Automobilindustrie. Für die ist es ja wie Weihnachten und Geburtstag zusammen, wenn ihre Kunden Geld dafür bekommen, ihr altes Produkt zu entsorgen und sich dafür ein Neues bei ihnen kaufen dürfen.

Zusammenfassend ist der Mechanismus im Hintergrund also Folgender: In unseren westlichen Gesellschaften sind zwei Dinge von zentraler Bedeutung: Geld und Freiheit. Geld wird aber immer ungleicher verteilt, weswegen sich alle an Ihre Freiheiten klammern und sie vehement verteidigen. Diese reflexartigen, stark emotionalen Reaktionen weiter Bevölkerungsteile machen sich Vertreter großer Branchen wie der Waffen-, Automobil- oder Lebensmittel-Branche zu Nutze, um auf politischer Ebene für ihre Branche Einfluss zu nehmen.

Ein schönes Beispiel aus einer anderen Branche ist der Vorschlag der Grünen, in Kantinen einen „Veggie Day“ pro Woche einzuführen, der von Seiten der Wirtschaft und gegnerischen Parteien als erster ein Schritt in Richtung „Ökodiktatur“ verunglimpft wurde. In Diktaturen haben persönliche Freiheitsrechte ja bekanntlich keine allzu große Bedeutung.

Bildlich gesprochen ist es wie mit einem Hund, dem man den Knochen wegnehmen möchte. Er knurrt selbst sein geliebtes Herrchen oder Frauchen an und das mit einer Aggression, die der Halter sonst noch nie bei seinem Hund gesehen hat. Es handelt sich dabei um eine Instinkt-Reaktion, die vollautomatisch abläuft. Man könnte versuchen, dem Hund freundlich und sachlich zu erklären, dass er morgen ein Filet-Steak bekommt, wenn er jetzt den Knochen rausrückt aber ein solches Unterfangen wäre natürlich zum Scheitern verurteilt. Auf dieser Verhaltensebene ist weder der Hund noch der Mensch für gute Argumente zugänglich. Auch wir Menschen haben noch immer viele dieser „animalischen“ Verhaltensweisen tief in uns. Und zwar jeder von uns und genau das ist die Schwachstelle, an der sich Demokratie von Wirtschaftslobbyisten aushebeln läßt. Da es für sie recht einfach ist, große Wählergruppen auf ihrem gemeinsamen „animalisch-instinktiven Nenner“ hinter sich zu vereinen, können sie Politiker nach ihrem Belieben steuern. Mit der Konsequenz, dass die Bürger immer nur den Knochen bekommen werden und nie das Filet-Steak, das auch im Bereich des Möglichen läge, allerdings nur mit deutlich mehr Vernunft zu bekommen wäre.

Dabei wäre die Lösung – zumindest in Bezug auf unser Auto-Problem – rein rational betrachtet doch so einfach: Ein vollständiges Produktionsverbot von Autos. Es gibt ja schließlich mehr als genug. Man müsste einfach nur ihre Nutzungsdauer drastisch verlängern.

Das hört sich auf den ersten Blick sehr dramatisch und irgendwie realitätsfern an, aber das liegt eher an mangelndem Vorstellungsvermögen als an fehlender Durchführbarkeit. Man muss nur über den Tellerrand schauen, bzw. nach Kuba, wo kurz nach der Revolution Ende der 50er Jahre der freie Autohandel weitgehend verboten wurde. Mit der Folge, dass dort sogar heute noch zahlreiche Autos aus den 50er und 60er Jahren auf den Straßen unterwegs sind, deren durstigen und rußigen Dieselmotoren vermutlich jede Emissionsgrenze sprengen. Dennoch vermute ich, dass die Öko-Bilanz eines dieser Fahrzeuge über den gesamten Zeitraum sogar trotz des hohen Verbrauchs besser ist als die Bilanz der Gesamtheit aller sich abwechselnder Fahrzeuge eines imaginären Besitzers in Deutschland über denselben Zeitraum. Der Grund sind die Ressourcen die in jedes einzelne Fahrzeug hinein geflossen sind sowie der von Fahrzeuggeneration zu Fahrzeuggeneration wachsende Ressourcenbedarf und zunehmende globale Vernetzungsgrad in der Produktion. Dies gilt natürlich auch für Elektrofahrzeuge. Die Öko-Bilanz heutiger Fahrzeuge ist also schon extrem negativ, bevor sie überhaupt einen Meter gefahren wurden.

Hinzu kommt, dass viele Kosten für uns kaum greifbar und nur deshalb so gering sind, weil die benötigten Rohstoffe oftmals unter katastrophalen menschenrechtlichen, ökologischen und sozialen Bedingungen in fernen Ländern abgebaut werden. Die Kosten werden externalisiert, wie es so schön heißt. Sprich dorthin verschoben, wo sie extrem niedrig sind weil es dort noch keine Gesetze für den Umgang mit Mensch und Natur gibt oder diese einfach übergangen werden können.

Warum also nehmen wir uns nicht ein Vorbild an Kuba und hören einfach auf, Autos zu produzieren? Ist doch klar: Wegen der Arbeitsplätze! Uns in Deutschland wir permanent eingetrichtert, dass die Automobilindustrie uns alle am Leben hält. Ohne sie wären wir alle arbeitslos und hätten als Land keine Chance mehr im internationalen darwinschen Verdrängungskampf. Wer diese Fehlinformation streut und die Politiker entsprechend instruiert dürfte ja mittlerweile klar sein: Es ist Automobilindustrie höchst selbst. Sie weigert sich nun schon seit mehreren Jahrzehnten echte Innovation zu betreiben und will stattdessen kurzfristige Gewinne einfahren, indem es immer neue SUV-Flotten auf den Markt bringt.

Und mit Innovation meine ich nicht Elektroantrieb oder Drohnen-Taxis. Ich meine das Geschäftsmodell einer ganzen Branche von Grund auf neu zu erfinden. Ich könnte mir z.B. vorstellen, dass die Automobilindustrie anstatt immer neue Autos zu produzieren die Produktion komplett einstellt und ein flächendeckendes Service-Netz anbietet, das die Wartung und Instandhaltung der bereits produzierten Fahrzeuge für die nächsten 30 Jahre gewährleistet. Die neueste Fahrzeuggeneration hat doch nun wirklich alles was man zum komfortablen Reisen braucht und ist im Gegensatz zu den Kuba-Schlitten auch noch recht verbrauchs- und emissionsarm. Die Arbeitsplätze in den Service-Werkstätten wären dann flächendeckend über ganz Deutschland verteilt und nicht nur rund um die Hochburgen der Automobilindustrie angesiedelt.

Gleiches könnte ich mir auch für die Textilindustrie und vermutlich noch viele andere Branchen vorstellen. Statt unter vollkommener Missachtung und Ausblendung ihrer sozialen und ökologischen Folgen an der Durchflusswirtschaft festzuhalten und immer neue Produkte für die Mülltonne zu produzieren – und der Weg dorthin über die Zwischenstation Konsument wird von Produktgeneration zu Produktgeneration kürzer – sollten sie ihre Geschäftsmodelle rund um den möglichst langen Erhalt ihrer Güter neu erfinden. Dann müsste man nicht mehr den Verkauf von „Einheiten“ maximieren, sondern den von „Nutzungseinheiten“ je Einheit.

Leider erscheint aber auch mir ein solch tiefgreifender Wandel sehr unrealistisch, insbesondere so lange die Wirtschaft die Politik so klar mitbestimmen kann. Daher bleibt wieder einmal nur die Frage, was man selbst tun kann, um zumindest in seiner eigenen kleinen Welt einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten?

In Bezug auf das Auto könnte man z.B. von sich aus einfach ganz darauf verzichten oder zumindest seinen Mobilitätsbedarf von Grund auf hinterfragen. Für welche Fahrten brauche ich zwingend ein Auto? Welche Fahrten sind vielleicht sogar überflüssig und gibt es in den Situationen, in denen man unbedingt von A nach B muss, nicht auch gute Alternativen zum Auto?

Meine Frau und ich haben jetzt seit einem Jahr kein eigenes Auto mehr. Es war bei uns allerdings weniger eine ökologische Vernunftsentscheidung, das Auto abzugeben, als eine unangenehme Notwendigkeit, da der Wagen in einem so schlechten Zustand war, dass er es nicht mehr über den TÜV geschafft hätte.

Um den Wagen wieder in einen Zulassungs-fähigen Zustand zu versetzen, wären einige tausend Euro fällig gewesen, wozu ich grundsätzlich schon bereit gewesen wäre, weil ich den Erhalt von Fahrzeugen, wie oben ausführlich beschrieben, als wesentlich sinnvoller erachte als den Neukauf. Ausschlaggebend für den Verkauf war aber schlussendlich die Tatsache, dass es sich bei dem Wagen um einen sehr altes Dieselfahrzeug gehandelt hat, mit dem ich schon vor einem Jahr nicht mehr in den Innenstadtbereich Münchens fahren durfte. Ich hätte neben den eh schon zahlreichen Mängeln also auch die Abgasanlage für viel Geld modernisieren lassen müssen – die Kosten für den laufenden Betrieb einmal ganz außer Acht gelassen.

Wir haben uns schlussendlich dazu entschieden, es einmal ohne Auto auszuprobieren. Als Ehepaar ohne Kinder, das in einer Großstadt lebt, sollte das ja durchaus machbar sein.  Im letzten Jahr hatten wir also viel Zeit und viele Gelegenheiten, die verschiedensten am Markt befindlichen Mobilitätsangebote auszuprobieren. Wir sind mit Langstreckenbussen gereist, haben Mietwägen geliehen, Car-Sharing-Angebote genutzt, sind mit der Bahn und öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren oder schlichtweg einfach geradelt oder zu Fuß gegangen.

Die Bilanz ist nach einem Jahr durchaus positiv, sowohl finanziell als auch emotional. Unsere Ausgaben für Mobilität waren im letzten Jahr ganz klar geringer als die Kosten, die für Reparatur, Unterhalt und Betrieb eines eigenen Autos in demselben Zeitraum zusammen gekommen wären. Natürlich gab es auch viele Momente in denen wir lieber mit dem eigenen Auto unterwegs gewesen wären, einfach weil es bequemer gewesen wäre, aber genauso gab es auch viele Momente in denen wir froh waren, dass wir keinerlei Verpflichtungen (Instandhaltung, Versicherung, Steuer, etc.) und Stress (Parken, Schäden, Reifenwechsel, etc.) mehr hatten und das ganze Thema komplett aus unserem Leben entfernt haben. Es hat etwas sehr Befreiendes, sich von seinem Auto zu trennen. Befreiend im Sinne echter Freiheit.

Daniel K., München

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