Über den RAND DES EREIGNSISHORIZONTS

Mein letzter Eintrag ist vom Oktober 2021. Jetzt haben wir Juni 2023. Das heißt, ich habe mich hier 20 Monate nicht mehr zu Wort gemeldet. Das ärgert mich ein bisschen und ich finde es auch irgendwie schade. Andererseits ist in dieser Zeit auch so viel passiert, dass ich mich mehr auf andere Dinge konzentrieren musste und keine Muße mehr für meinen Blog gefunden habe.

Ich hatte sie schon in einigen meiner früheren Beiträge erwähnt: Exponentialkurven. Sie sind der Grund, warum ich mich jetzt wieder melde. Ich habe nämlich das starke Gefühl, dass wir alle sehr bald den Punkt auf dieser Kurve erreichen werden, den man Singularität nennt. 

Das beste Beispiel, um diesen Gedanken zu veranschaulichen, ist ein schwarzes Loch, das im Grunde eine real existierende Exponentialfunktion darstellt. Bis zu einem gewissen Punkt kann man in dieses “Loch” hineinschauen. Aber ab einem bestimmten Punkt ist das nicht mehr möglich. Alles, was dahinter liegt, ist uns völlig unbekannt und wir werden es wahrscheinlich auch nie erfahren.

Wir Menschen haben es mit einer Reihe von exponentiellen Entwicklungen zu tun, die wir selbst verursacht haben und die wir immer wieder fälschlicherweise als “Krisen” bezeichnen. Eine Krise ist streng genommen ein zeitlich begrenztes Ereignis, das den Ausnahmezustand eines ansonsten stabilen Zustandes beschreibt und mit der Rückkehr zum Ausgangszustand endet. 

Bildlich gesprochen ist eine Krise also eher wie eine Murmel in einer Schale, die in Bewegung geraten ist, aber irgendwann wieder zum Stillstand kommt, wenn man die Schale nicht mehr bewegt. Womit wir es aber zu tun haben, sind Murmeln, die aus einer Schale rausgekullert sind und nun immer schneller einen immer steileren Abhang hinunterrollen. Dieser ist so steil, dass man sein Ende nicht sehen kann. Und genau an diesem Ereignishorizont befinden sich die vielen selbstverschuldeten exponentiellen Fehlentwicklungen, mit denen wir Menschen zu tun haben. Einige haben diesen Punkt leider sogar bereits überschritten.

Betrachtet man diese Entwicklungen im Zeitverlauf, so stellt man fest, dass jede einzelne einen exponentiellen Verlauf aufweist und die Großereignisse in immer kürzeren Abständen auftreten.

Hier eine komplett unvollständige und von mir schnell und subjektiv zusammengestellte Chronologie der wichtigsten Fehlentwicklungen der letzten 30 Jahre:

1989: Globalisierung des Kapitalismus

Mit dem Fall der Mauer 1989 stand dem Kapitalismus endgültig nichts mehr im Wege und die Globalisierung beschleunigte sich noch einmal rasant. Mit der Folge, dass auch China einbezogen wurde und sich zu einem massiven Brandbeschleuniger entwickelte, der seitdem wiederum andere Drittweltländer und ganze Kontinente wie z.B. Afrika mit hinein zieht.

2001: Globalisierung der Gewalt

2001 haben die USA und ihre Verbündeten dann den “Krieg gegen den Terror” begonnen und damit Gewalt und Hass in die Welt getragen. Allein dieser Begriff ist so absurd, dass er nur eine amerikanische Erfindung sein kann. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was besser ist, Krieg oder Terror. Ich tendiere sogar zum Terror, weil er weniger Tote und Kollateralschäden fordert. Aber egal. Jedenfalls wurde der ganzen Welt sehr deutlich vor Augen geführt, dass der Stärkere auch Gewalt anwenden darf, um den Schwächeren in die Schranken zu weisen und sich an ihm zu bereichern. 

2008: Globalisierung der Gier

Das nächste große Ereignis ereignete sich 2008 im Finanzsektor, als das gesamte Bankensystem aufgrund toxischer Finanzprodukte zusammenbrach und die Allgemeinheit den finanziellen Schaden zu tragen hatte. Einige wenige gierige und skrupellose Banker verbrannten die Ersparnisse von Millionen Menschen und machten sich aus dem Staub. Die Zeche zahlte der Staat und die Lehre, die einige daraus gezogen haben, war sicherlich, dass Tugenden wie Ehrlichkeit, Sparsamkeit und Verantwortungsbewusstsein eher hinderlich sind und man sich eine gewisse Skrupellosigkeit aneignen muss, um in dieser Welt vorwärts zu kommen.

2016: Globalisierung der Desinformation

Als direkte Folge der sich immer weiter öffnenden Vermögensschere und der zunehmenden Erosion der Tugenden und des Zusammenhalts in der Bevölkerung kam es 2016 zur – zumindest von mir nicht für möglich gehaltenen – Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. Nun gab es nicht nur toxische Finanzprodukte, sondern auch eine toxische Politik der Spaltung. Nicht, dass die Vorgängerregierungen nicht auch viele moralisch höchst verwerfliche innen- und außenpolitische Entscheidungen getroffen hätten, was natürlich nicht nur für die USA, sondern auch für ihre westlichen Verbündeten gilt. Nein, der Unterschied war, dass dies nun in aller Öffentlichkeit geschah. Die Entwicklung der sozialen Medien hatte den Boden dafür bereitet, aber es bedurfte einer Person wie Donald Trump, um Lügen gesellschaftsfähig und sachliche Diskurse irrelevant zu machen. Von nun an konnte man machen, was man wollte. Jede Kritik konnte in tausenden Nebelkerzen alternativer Fakten erstickt werden. Natürlich haben sich andere Regierungsvertreter das abgeschaut, aber auch für die Masse der Bevölkerung blieb diese Art des Miteinanders nicht ohne Folgen und die vielen kleinen Risse werden immer größer.

2020: Globale Pandemie

Dann kam Corona. Der Ausbruch dieses Virus im Winter 2019/2020 war ausnahmsweise ein natürliches Ereignis, aber auch das muss man bei näherer Betrachtung relativieren. Wir wissen noch nicht genau, woher das Virus stammt, aber entweder ist es von einer anderen Tierart zu uns übergesprungen oder es stammt aus dem Labor. Auch wenn es von einer anderen Tierart stammt, sind wir nicht ganz unschuldig an der Pandemie, denn wir dringen immer weiter in die Natur vor und erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit von Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden. Diese globale Pandemie hat uns gezeigt, dass wir zwar mit medizinischen Entwicklungen und Maßnahmen reagieren können, dass es uns aber auch sehr schwer fällt, einheitlich und geschlossen zu handeln. Rückblickend hat das Virus die vielen Gräben in der Bevölkerung, aber auch zwischen ganzen Nationen noch vertieft. 

Wir sind uns der Fragilität der globalen Lieferketten bewusst geworden, was zu einer Teilung der Welt in einen westlichen Teil um die USA und einen östlichen Teil um China geführt hat. Beide Nationen rasseln seither offen mit den Waffen und die Möglichkeit eines dritten Weltkrieges scheint leider sehr realistisch. 

2022: Krieg in Europa

Womit wir beim nächsten Großereignis wären: Dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022. Ohne das oben beschriebene Szenario und die militärischen Drohgebärden zwischen China und den USA wäre es vielleicht nicht dazu gekommen, aber so hat sich China dazu entschlossen, seinen Kettenhund Russland diesen Angriff durchführen zu lassen. Natürlich erst nach den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking, bei denen Wladimir Putin noch brav an der Seite seines Herrchens saß. 

Es fällt mir immer noch schwer, die Realität dieses Krieges zu begreifen. Ein Krieg, der so gar nicht in Raum und Zeit passt. Mitten in Europa finden im Moment gnadenlose Schlachten mit Panzern und Schützengräben statt, die bereits Tausende von Toten gefordert haben und mich viel mehr an den Ersten oder Zweiten Weltkrieg erinnern als an einen hochmodernen High-Tech-Krieg, wie ich ihn vielleicht erwartet hätte. Es kommt mir so vor, als wäre Adolf Hitler in Gestalt von Wladimir Putin durch den Schleier der Vergangenheit wieder aufgetaucht. Die gleiche hanebüchene und krude Propaganda, das gleiche martialische Auftreten vor großen Truppenverbänden, der gleiche Wahn um eine einzelne Figur, die die Kontrolle über ihre Gedanken verloren hat und menschliches Leben für wertlos hält. 

2022: Entfesselung künstlicher Intelligenz

Als wäre das noch nicht genug, drückt am 30. November 2022 jemand im Silicon Valley auf die Eingabetaste seiner Tastatur und setzt eine künstliche Intelligenz namens ChatGPT frei. Andere Unternehmen wie Google haben nicht lange auf sich warten lassen und daraufhin ihre künstlichen Intelligenzen freigeschaltet. Aus ökonomischer Sicht war dies der einzig denkbare Schritt, da sonst das Überleben des Unternehmens gefährdet gewesen wäre. Mit anderen Worten: Nach dem Öffnen der Büchse der Pandora ist der Bock zum Gärtner geworden. 

Nun könnte man sagen, dass das alles gar nicht so schlimm ist und wir schließlich von der neuen Intelligenz auf diesem Planeten sehr profitieren könnten, aber das setzt ein paar ganz wesentliche Leitplanken voraus, die es leider nicht gibt. 

Es müsste starke, weltweit gültige Regeln geben, die dafür sorgen, dass mit der neuen künstlichen Intelligenz kein Missbrauch getrieben wird und die Gewinne der Allgemeinheit zugutekommen. Dies ist angesichts der derzeitigen weltpolitischen Lage leider nicht zu erwarten. Das heißt, sie wird den Kräften des Marktes ausgeliefert sein. Ein reines Wirken zum Wohle der Menschheit wäre – zumindest kurz- und mittelfristig, und in diesen Zeiträumen werden leider auch Geschäftsentscheidungen getroffen – ökonomisch nicht sinnvoll. Die Dominanz kapitalistischer Entscheidungen lässt dies einfach nicht zu. Und schließlich ist da noch die Unbekannte der künstlichen Intelligenz selbst. Wie wird sie sich in dieser Welt verhalten? Was sind ihre Ziele und Wünsche? Von all dem haben wir nicht die geringste Ahnung, und insofern ist die Gefahr, die von dieser neuen Intelligenz ausgeht, eher mit der der Atombombe zu vergleichen.

Dies sind nur einige der vielen Fehlentwicklungen der jüngeren Vergangenheit, und mindestens ebenso elementare, menschengemachte Katastrophen wie der Klimawandel oder das Artensterben spielen sich seit Jahrzehnten im Hintergrund ab, ohne dass wir bisher Maßnahmen dagegen ergreifen konnten. Auffällig ist, dass die Taktung der “Einschläge” zunimmt. Würde man sie auf einer Zeitachse darstellen, könnte man die exponentielle Zunahme dieser Einschläge sehr gut veranschaulichen. 

Wir befinden uns aktuell also in einem perfekten Sturm, sehr nahe an einem Moment, der alles zum Kippen bringen wird und über dessen Ereignishorizont wir nicht hinausschauen können. Wir wissen einfach nicht, was uns danach erwartet. Und genau aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, meinen Blog wieder regelmäßig mit neuen Beiträgen zu aktualisieren. Ich möchte diese Zeit bewusst für mich reflektieren und aufarbeiten und immer wieder einzelne Themen herausgreifen, die meiner Meinung nach vor den größten Veränderungen stehen.