Über das PRODUKT MENSCH

Die Kommerzialisierung der Welt durch die Menschheit folgt in allen Ihren Dimensionen und Auswirkungen seit jeher einer Exponentialfunktion. Sie begann kaum merklich mit der Entdeckung Amerikas, stieg nach dem zweiten Weltkrieg spürbar an, nahm dann nach dem Zusammenbruch des Ostblocks vehement an Fahrt auf und befindet sich aktuell in jenem nahezu senkrecht ansteigenden Bereich exponentieller Funktionen, der für uns Menschen von Natur aus nur schwer zu begreifen ist.

Die Halbwertszeit von Nachrichten hat sich auf ein Minimum reduziert, während ihre Tragweite und Bedeutung für uns und unseren Planeten größer nicht sein könnte:

Das globale Klima ist komplett aus dem, vor nicht allzu langer Zeit noch als stabil angesehenen, Gleichgewichtszustand geraten. Kalifornien brennt während andere Teile der USA überflutet werden. In Sibirien werden Temperaturen gemessen wie sonst nur am Mittelmeer, was dazu führt, dass auch hier die Wälder brennen und der ehemalige Permafrostboden taut. So werden Unmengen an Methan und CO2 in die Atmosphäre abgegeben und der Klimawandel weiter befeuert. Die Weltmeere übersäuern und ersticken in einer nicht enden wollenden Flut aus Plastikmüll. Die Biodiversität des Planeten nimmt in einem Ausmaß ab wie das letzte Mal vor 65 Millionen Jahren. Flüchtlingsströme aus dem Süden stauen sich in unwirtlichen Camps, die nur für kurze Aufenthalte geplant wurden aber nun scheinbar zu einer festen Einrichtung unseres globalen Miteinanders geworden sind (und von Zeit zu Zeit in Brand geraten). Über Menschen Donald Trump oder Oliver Samwer möchte ich gar nicht erst sprechen.

Mit anderen Worten: Die ganze Welt scheint im Moment zu explodieren und während man fassungslos zuschaut, wie ein Schreckensereignis das nächste jagt, stellt man sich die Frage: Wie konnte es nur soweit kommen?

Eine gute Erklärung liefert der klassische Verlauf einer Exponentialfunktion: Zunächst steigt sie kaum merklich an. Bezogen auf uns, war dies die Phase zwischen 1492 und 1945 in der der Großteil der Menschen beruflich noch in die Fußstapfen seiner Eltern getreten ist. Zwischen 1945 und 2007 stieg die Kurve deutlich an. In dieser Phase hat die Bevölkerung der westlichen Welt stark von der Globalisierung profitiert, warum es für sie auch keinen Grund gab, den Fuß vom Gas zu nehmen. Natürlich waren auch im Jahr 2007 die weitreichenden und mehrheitlich negativen Folgen für die Umwelt und den Rest der Menschheit unübersehbar, aber da es keine unmittelbaren, persönlichen Konsequenzen gab, sah man sich auch nicht genötigt, etwas zu verändern. Im letzten Teil der Exponentialfunktion – von 2007 bis heute – hat sich die Situation noch einmal grundlegend geändert. Die Kurve steigt nun fast senkrecht nach oben an und die drastischen Veränderungen und schrecklichen Konsequenzen unserer Passivität fliegen uns jetzt auch im Westen um die Ohren.

Doch was genau war im Jahr 2007? Die Finanzkrise hat uns doch erst 2008 getroffen. 2007 hat uns etwas viel Mächtigeres und Zerstörerisches getroffen als eine lapidare Finanzkrise. Seit 2007 „läuft“ die Menschheit auf einem feindlichen Betriebssystem! Genauer gesagt seit dem 9. Januar 2007 – dem Tag, an dem Apple-Chef Steve Jobs das erste iPhone vorstellte. Dies war der Tag an dem der Mensch selber zum Produkt wurde. Und diesmal hat es auch die Menschen der westlichen Welt erwischt.

Um diese Entwicklung zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf das Geschäftsmodell sogenannter Boulevard-Zeitschriften.  Es gibt zwei ganz zentrale Unterschiede zwischen einer Boulevard- und einer Tageszeitung: Der Preis und der Inhalt. Während eine klassische Tageszeitung wie die New York Times oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung Geld kostet und um Sachlichkeit und Fakten bemüht ist, werden viele Boulevardzeitungen nahezu oder komplett kostenlos an ihre Leser verteilt und stehen für eine emotionalisierte Berichterstattung, in der laut Wikipedia „Informationen vorenthalten oder pauschalisiert und Sachverhalte verkürzt oder verzerrt dargestellt werden, mitunter stellenweise auch frei erfunden sind“.

Aber womit verdient die Boulevardpresse dann ihr Geld wenn nicht mit dem Verkauf Ihrer Zeitungen? Ganz einfach! Durch das kostenlose Angebot können Sie eine große Leserschaft hinter sich versammeln, die sie dann wieder an die Werbeindustrie verkaufen können. Je größer Ihre Leserschaft umso größer die Reichweite der Werbeanzeigen. Der Leser ist also zum Produkt geworden mit der Folge, dass es bei dem eigentlichen Produkt, der Nachrichtenerstattung, nicht mehr um Sachlichkeit und Fakten geht, sondern einzig und allein darum, möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren.

Dieser scheinbar harmlose Wandel in der Berichterstattung hat katastrophale Auswirkungen auf die Entscheidungsfähigkeit, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der breiten Bevölkerung. Natürlich lag diese Entwicklung schon weit vor dem Jahr 2007 aber erst durch die flächendeckende Verbreitung der Smartphones wurde aus diesem sehr gefährlichen Geschäftsmodell das neue Betriebssystem der global vernetzten Menschheit.

Unternehmen wie Apple, Google und Facebook haben es geschafft, die gesamte Menschheit hinter ihren Smartphones zu versammeln und ihre Aufmerksamkeit wiederum an die Werbetreibenden zu verkaufen. Um die „Eyeballs“ der „User“ möglichst lange an den Screens ihrer Endgeräte zu fesseln, haben die schlauesten Entwickler und Designer aus dem Silicon Valley in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass die Nutzung ihrer Apps abhängig macht. Nur so können sie sicherstellen, dass die User ihre Apps immer wieder öffnen und länger nutzen. Die dabei gewonnenen Nutzungsdaten verwenden sie dann für die optimale Ausspielung der Werbeanzeigen und natürlich auch für die weitere Optimierung ihrer Apps. Dabei schrecken sie auch vor dem Einsatz künstlicher Intelligenz nicht zurück, die uns in Form von hochentwickelten Algorithmen schon heute besser kennt als wir uns selbst und unsere Psyche immer erfolgreicher und vollautomatisiert „hackt“. Diesem Gegenspieler haben wir nur wenig entgegen zu setzen, insbesondere dann, wenn man sich der Gefahren für uns selbst aber auch für die Gesellschaft noch nicht einmal bewusst ist.

Man kann dem natürlich die vielen Vorteile der Digitalisierung und der sozialen Medien entgegenhalten aber das lenkt nur von der Tatsache ab, dass der Kern dieses neuen Betriebssystems der Menschheit,  ein kommerzieller und manipulativer ist. Genau wie bei der Boulevardpresse geht diesem neuen Betriebssystem nicht um Sachlichkeit und Fakten, sondern um einzig und allein um Gewinnung und Ausschlachtung von Aufmerksamkeit. Abhängigkeiten, Psychosen und mediale Echo-Kammern mit all ihren fatalen Folgen für die Gesellschaft nimmt man dafür gerne in Kauf.

So haben wir uns selbst zum Produkt gemacht und jetzt starren wir voller Verwunderung und Entsetzen aus dem Einkaufsregal auf all die Katastrophen und Dramen, die sich vor unseren Augen in den Gängen dieses Kaufhauses namens Erde abspielen, unfähig auch nur den kleinsten Mucks von uns zu geben.

Daniel K., München