Wenn man über die wachsende Macht und den Einfluss der Wirtschaft und der Finanzwelt auf unsere Gesellschaft nachdenkt, kommen einem oft die neuen digitalen Plattformen aus dem Silicon Valley in den Sinn, die sich rühmen, die ganze Welt zu „disrupten“, aber leider nur dafür sorgen, dass die Masse der Menschen in einer Informationsflut ertrinkt. Oder man denkt an die Automobilindustrie oder die Tabak- und Lebensmittelindustrie, die einen ebenso großen und schlechten Einfluss auf unser gesellschaftliches Zusammenleben haben und keine Kosten und Mühen scheuen, um ihre Interessen durchzusetzen.
Dann fragt man sich: Wie können die Menschen, die für diese Unternehmen arbeiten, solche Entscheidungen treffen und mit ihrem Gewissen vereinbaren? Die Antwort ist ebenso einfach wie überraschend: Diese Menschen treffen keine Entscheidungen, zumindest nicht mehr, als eine Zelle meines Körpers bei meinen Entscheidungen mitzureden hat. Diese Entscheidungen werden von den Unternehmen selbst getroffen, denen es – von uns weitgehend unbemerkt – gelungen ist, eine dominante Rolle auf unserem Planeten einzunehmen, die immer weniger Berührungspunkte mit unserer menschlichen Gesellschaft hat.
Willkommen im Zeitalter der Unternehmenskontrolle, das am besten mit einer Invasion von Außerirdischen verglichen werden kann, die unbemerkt unter uns leben. Unternehmen haben sich zu mächtigen Akteuren entwickelt, die die gesellschaftliche Entwicklung auf globaler Ebene maßgeblich beeinflussen. Sie sind real existierende Wesen, genauer gesagt Bienenstock-Organismen mit künstlicher Intelligenz (KI). Viele denken bei KI an komplexe Algorithmen wie ChatGPT oder an autonome Roboter, die eines Tages den Menschen überflügeln könnten. Doch es ist die „unternehmensförmige“ KI, die vermutlich viel gefährlicher ist als die genannten Technologien.
Unternehmen sind keine Menschen, und doch haben sie – als juristische Personen- viele der gleichen Rechte: Sie können Vermögen aufbauen, Rechtsgeschäfte abschließen, wirtschaftliche und ethische Entscheidungen treffen. Ihr Verhalten gleicht einer autonom und global agierenden Intelligenz – einer Intelligenz, die keinen menschlichen Körper benötigt, um ihre Ziele – vor allem Wachstum, Rentabilität – zu verfolgen. Unternehmen benutzen Menschen und Maschinen – und seit Kurzem natürlich auch andere Formen von künstlicher Intelligenz – als ihre Sensoren und Effektoren oder, bildlich gesprochen, als ihre Nerven und Muskeln.
Sie können umstrukturiert, umbenannt oder fusioniert werden, aber das Prinzip „Unternehmen“ lebt weiter, solange seine wirtschaftlichen Ziele verfolgt werden. Aufgrund dieser Eigenschaften bietet sich auch ein Vergleich mit einem anderen faszinierenden Lebewesen an, dem Schleimpilz. Dieser Einzeller besitzt weder ein Gehirn noch ein zentrales Nervensystem und ist dennoch in der Lage, komplexe Probleme zu lösen. Der Schleimpilz kann den kürzesten Weg durch ein Labyrinth finden, sich erinnern, auf frühere Erfahrungen reagieren und sogar gelernte Informationen mit anderen Schleimpilzen teilen. Diese Fähigkeiten zeigen, dass Intelligenz nicht unbedingt an ein zentrales Steuerungsorgan gebunden sein muss.
Wie der Schleimpilz bilden auch Unternehmen weit verzweigte Netzwerke, die flexibel auf äußere Einflüsse reagieren und sich ständig neu organisieren, um ihre Ressourcen zu maximieren. Neuere Studien von Glattfelder, Vitali und Battiston* zeigen, dass die Eigentumsverhältnisse transnationaler Konzerne extrem vernetzt und konzentriert sind. Es wurde untersucht wie umfangreich die wechselseitige Überschneidung von Eigentümerschaft, also wie dicht das Netzwerk der Kapitalkontrolle bei transnational aufgestellten Unternehmen tatsächlich ist. Demnach bilden nur 147 Unternehmen das „Rückgrat“ der Weltwirtschaft. Diese Unternehmen kontrollieren zusammen 40% des transnationalen Kapitals. Diese starke wechselseitige Eigentümerschaft bezeichnen die Forscher als eine Art „Super-Identität“. Ein erweitertes, etwas weniger dichtes, Netzwerk von 737 Unternehmen kontrolliert sogar 80% des globalen Kapitals.
Diese „Unternehmenswesen“ verfolgen Interessen, die oft in direktem Widerspruch zu den Bedürfnissen von Mensch und Natur stehen. Denn im Gegensatz zu Menschen fehlt es Unternehmen an Empathie und moralischer Verantwortung. Die Prioritäten von Unternehmen sind nicht menschlich – sie drehen sich ausschließlich um Profit und Überleben. Unternehmen handeln ohne Empathie – sie kennen weder Mitleid noch langfristige Verantwortung für die Umwelt. Ihr Ziel ist Wachstum um jeden Preis, auch wenn es auf Kosten der Natur oder der Gesellschaft geht. Die zerstörerischen Folgen sind überall sichtbar: Klimawandel, Ressourcenerschöpfung, soziale Ungerechtigkeit.
Wir haben unsere Zukunft in die Hände nicht-menschlicher, global existierender Akteure gelegt – Akteure, die weder unser Wohlbefinden noch das Überleben des Planeten im Blick haben. Konzerne sind die wahre künstliche Intelligenz, die bereits heute unsere Gesellschaft durchdrungen hat. Sie handeln autonom, ohne Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse oder ethische Grundsätze, und steuern damit die Welt, in der wir leben.
Die Gefahr besteht darin, dass wir Menschen zunehmend in den Hintergrund gedrängt werden. Unsere Entscheidungen, unsere Werte und unser Wohl werden den Interessen der Unternehmen untergeordnet. Um diesen Trend umzukehren, müssen wir uns der Frage stellen: Wie können wir die Kontrolle über unsere Zukunft zurückgewinnen? Es ist an der Zeit, die Macht der Unternehmen zu begrenzen und die Menschlichkeit wieder ins Zentrum unserer Gesellschaft zu rücken – bevor es zu spät ist.
* Vitali u.a. „The Network of Global Corporate Control“ & Vitali u.a. „The Network of Global Capital Control“