bookmark_borderÜber UNTERNEHMENSWESEN

Wenn man über die wachsende Macht und den Einfluss der Wirtschaft und der Finanzwelt auf unsere Gesellschaft nachdenkt, kommen einem oft die neuen digitalen Plattformen aus dem Silicon Valley in den Sinn, die sich rühmen, die ganze Welt zu „disrupten“, aber leider nur dafür sorgen, dass die Masse der Menschen in einer Informationsflut ertrinkt. Oder man denkt an die Automobilindustrie oder die Tabak- und Lebensmittelindustrie, die einen ebenso großen und schlechten Einfluss auf unser gesellschaftliches Zusammenleben haben und keine Kosten und Mühen scheuen, um ihre Interessen durchzusetzen.

Dann fragt man sich: Wie können die Menschen, die für diese Unternehmen arbeiten, solche Entscheidungen treffen und mit ihrem Gewissen vereinbaren? Die Antwort ist ebenso einfach wie überraschend: Diese Menschen treffen keine Entscheidungen, zumindest nicht mehr, als eine Zelle meines Körpers bei meinen Entscheidungen mitzureden hat. Diese Entscheidungen werden von den Unternehmen selbst getroffen, denen es – von uns weitgehend unbemerkt – gelungen ist, eine dominante Rolle auf unserem Planeten einzunehmen, die immer weniger Berührungspunkte mit unserer menschlichen Gesellschaft hat.

Willkommen im Zeitalter der Unternehmenskontrolle, das am besten mit einer Invasion von Außerirdischen verglichen werden kann, die unbemerkt unter uns leben. Unternehmen haben sich zu mächtigen Akteuren entwickelt, die die gesellschaftliche Entwicklung auf globaler Ebene maßgeblich beeinflussen. Sie sind real existierende Wesen, genauer gesagt Bienenstock-Organismen mit künstlicher Intelligenz (KI). Viele denken bei KI an komplexe Algorithmen wie ChatGPT oder an autonome Roboter, die eines Tages den Menschen überflügeln könnten. Doch es ist die „unternehmensförmige“ KI, die vermutlich viel gefährlicher ist als die genannten Technologien.

Unternehmen sind keine Menschen, und doch haben sie – als juristische Personen- viele der gleichen Rechte: Sie können Vermögen aufbauen, Rechtsgeschäfte abschließen, wirtschaftliche und ethische Entscheidungen treffen. Ihr Verhalten gleicht einer autonom und global agierenden Intelligenz – einer Intelligenz, die keinen menschlichen Körper benötigt, um ihre Ziele – vor allem Wachstum, Rentabilität – zu verfolgen. Unternehmen benutzen Menschen und Maschinen – und seit Kurzem natürlich auch andere Formen von künstlicher Intelligenz – als ihre Sensoren und Effektoren oder, bildlich gesprochen, als ihre Nerven und Muskeln.

Sie können umstrukturiert, umbenannt oder fusioniert werden, aber das Prinzip „Unternehmen“ lebt weiter, solange seine wirtschaftlichen Ziele verfolgt werden. Aufgrund dieser Eigenschaften bietet sich auch ein Vergleich mit einem anderen faszinierenden Lebewesen an, dem Schleimpilz. Dieser Einzeller besitzt weder ein Gehirn noch ein zentrales Nervensystem und ist dennoch in der Lage, komplexe Probleme zu lösen. Der Schleimpilz kann den kürzesten Weg durch ein Labyrinth finden, sich erinnern, auf frühere Erfahrungen reagieren und sogar gelernte Informationen mit anderen Schleimpilzen teilen. Diese Fähigkeiten zeigen, dass Intelligenz nicht unbedingt an ein zentrales Steuerungsorgan gebunden sein muss.

Wie der Schleimpilz bilden auch Unternehmen weit verzweigte Netzwerke, die flexibel auf äußere Einflüsse reagieren und sich ständig neu organisieren, um ihre Ressourcen zu maximieren. Neuere Studien von Glattfelder, Vitali und Battiston* zeigen, dass die Eigentumsverhältnisse transnationaler Konzerne extrem vernetzt und konzentriert sind. Es wurde untersucht wie umfangreich die wechselseitige Überschneidung von Eigentümerschaft, also wie dicht das Netzwerk der Kapitalkontrolle bei transnational aufgestellten Unternehmen tatsächlich ist. Demnach bilden nur 147 Unternehmen das „Rückgrat“ der Weltwirtschaft. Diese Unternehmen kontrollieren zusammen 40% des transnationalen Kapitals. Diese starke wechselseitige Eigentümerschaft bezeichnen die Forscher als eine Art „Super-Identität“. Ein erweitertes, etwas weniger dichtes, Netzwerk von 737 Unternehmen kontrolliert sogar 80% des globalen Kapitals.

Diese „Unternehmenswesen“ verfolgen Interessen, die oft in direktem Widerspruch zu den Bedürfnissen von Mensch und Natur stehen. Denn im Gegensatz zu Menschen fehlt es Unternehmen an Empathie und moralischer Verantwortung. Die Prioritäten von Unternehmen sind nicht menschlich – sie drehen sich ausschließlich um Profit und Überleben. Unternehmen handeln ohne Empathie – sie kennen weder Mitleid noch langfristige Verantwortung für die Umwelt. Ihr Ziel ist Wachstum um jeden Preis, auch wenn es auf Kosten der Natur oder der Gesellschaft geht. Die zerstörerischen Folgen sind überall sichtbar: Klimawandel, Ressourcenerschöpfung, soziale Ungerechtigkeit.

Wir haben unsere Zukunft in die Hände nicht-menschlicher, global existierender Akteure gelegt – Akteure, die weder unser Wohlbefinden noch das Überleben des Planeten im Blick haben. Konzerne sind die wahre künstliche Intelligenz, die bereits heute unsere Gesellschaft durchdrungen hat. Sie handeln autonom, ohne Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse oder ethische Grundsätze, und steuern damit die Welt, in der wir leben.

Die Gefahr besteht darin, dass wir Menschen zunehmend in den Hintergrund gedrängt werden. Unsere Entscheidungen, unsere Werte und unser Wohl werden den Interessen der Unternehmen untergeordnet. Um diesen Trend umzukehren, müssen wir uns der Frage stellen: Wie können wir die Kontrolle über unsere Zukunft zurückgewinnen? Es ist an der Zeit, die Macht der Unternehmen zu begrenzen und die Menschlichkeit wieder ins Zentrum unserer Gesellschaft zu rücken – bevor es zu spät ist.

* Vitali u.a. „The Network of Global Corporate Control“ & Vitali u.a. „The Network of Global Capital Control“

bookmark_borderÜber TRUMP und TRENNUNG

Es ist schon wieder passiert. Donald Trump wird zum zweiten Mal Präsident der Vereinigten Staaten, und das trotz seines Aufrufs zum Sturm auf das Kapitol sowie diverser Amtsenthebungs- und Gerichtsverfahren gegen ihn. Ich habe eine Woche gebraucht, um diese Nachricht zu verdauen.

Ich konnte erst gar keine Nachrichten mehr sehen, weil ich Angst hatte, ihn oder seinen noch unsympathischeren Vizepräsidenten im Siegesrausch zu sehen. Rein menschlich finde ich diese beiden Gestalten und noch viele andere, die sich in diesem Umfeld aufhalten, wie z.B. die beiden Trump-Söhne Eric und Donald jr., den größenwahnsinnigen Elon Musk oder den fiesen rechten Strippenzieher im Hintergrund Roger Stone – um nur einige zu nennen – einfach unerträglich. Ich verabscheue sie regelrecht und kann nicht verstehen, wie man für sie Sympathien hegen, geschweige denn sie in die wichtigsten Machtpositionen der Welt wählen kann. Es ist und bleibt mir völlig unverständlich.

Aber nach einer Woche Digital Detox habe ich die ersten Kommentare von Leuten gelesen, von denen ich glaube, dass sie eine ähnliche Abneigung haben und genauso schockiert sein müssen wie ich. Und langsam beruhige ich mich, denn sie haben eine wirklich gute Erklärung für das aus demokratischer Sicht desaströse Wahlergebnis. Sie sagen, dass die meisten Trump gewählt haben, um das ganze System zu Fall zu bringen. Die meisten Trump-Wähler sind auch keine glühenden Fans von Trump und seinen Gefolgsleuten, aber sie sehen in ihm eine Art Abrissbirne. Donald Trump – und auf der anderen (helleren) Seite – Bernie Sanders sind vor allem deshalb so erfolgreiche Präsidentschaftskandidaten, weil sie eben keine Berufspolitiker sind, die so tief in den politischen Betrieb verstrickt sind, dass sie am Ende keine eigenen Entscheidungen mehr treffen können und eigentlich nur noch Marionetten der großen Lobbyisten sind. Von solchen Politikern ist einfach keine wirkliche Veränderung mehr zu erwarten. Ähnlich wie Angela Merkel bei uns in Deutschland, die mit ihrer „Merkel-Raute“ einfach alles aussaß und immer wieder neue Abwrackprämien und andere Geschenke an die Wirtschaft verteilt hat, ohne wirkliche Veränderungen durchzusetzen, hängt die Demokratische Partei in den USA an den gleichen Trögen der Wirtschaft, die auch die Republikaner füttern. Beide sorgen dafür, dass die großen Konzerne und alle, die von ihnen profitieren, immer reicher und mächtiger werden, während die Arbeitnehmer, von denen ohnehin nur ein sehr kleiner Bruchteil gewerkschaftlich organisiert ist, vom Wachstum nichts abbekommen. Während eine kleine Elite immer reicher wird, geht die große Mehrheit leer aus und lebt ohne Sicherheiten von der Hand in den Mund. Mit dieser Ungerechtigkeit will die große Mehrheit nun Schluss machen, notfalls mit Gewalt in Form einer Abrissbirne.

Und damit kann ich mich wieder anfreunden. Es hilft mir, meinen Schock über die Wiederwahl Trumps zu überwinden, weil ich die Motivation und die Beweggründe, die hinter dieser Wahlentscheidung der amerikanischen Bevölkerung stehen, durchaus nachvollziehen kann und sogar damit sympathisiere. Denn nichts anderes beschäftigt mich seit Jahren. Ich teile die Sorge um die Spaltung der Gesellschaft in einen winzigen Teil, der alles hat, und eine überwältigende Mehrheit, die nichts mehr hat. Und damit meine ich persönliche Rechte und Freiheiten, wirtschaftliche und politische Macht und natürlich Sicherheit und Vermögen.

Die Wahl von Trump ist ein Bild dafür, dass die Trennung der Gesellschaft nun endgültig nicht mehr tragbar ist. Sie ist der erste spürbare Wind einer gewaltsamen Revolution, die sich in dunklen Wolken am Horizont ankündigt. Wenn wir nicht auf dieses deutliche Zeichen hören, wird der Sturm der Revolution alles mit sich reißen, denn so kann es nicht weitergehen. Trump, der jetzt die Mehrheit in allen Kammern und sogar den Supreme Court in der Tasche hat, wird dafür sorgen, dass es kein Zurück mehr gibt. Im Gegenteil, er wird dafür sorgen, dass uns alles noch schneller um die Ohren fliegt, indem er der Wirtschaft nun endgültig alles erlaubt. Damit wird er seiner Rolle als Abrissbirne gerecht. Er ist sozusagen ein Katalysator, ein Brandbeschleuniger, der dem eigentlichen Ziel dient, das ganze System zum Einsturz zu bringen.

Ein Wandel durch Vernunft und Moral, für den Kamala Harris mit ihrer Kampagne stand, erschien der amerikanischen Bevölkerung nicht mehr wahrscheinlich. Zu lange hatte sie zugesehen, wie die Politik der Wirtschaft aus der Hand fraß und sich immer mehr in deren Dienst stellte. Die Wahl Trumps war eine Bauchentscheidung, die der Erkenntnis folgte, dass manches nur mit einem Knall enden kann, nicht aber mit einem gesellschaftlichen Dialog, bei dem ein immer größerer Teil der Bevölkerung ohnehin nicht mehr gehört wurde.

Es ist Zeit für einen echten Wandel. Auch hier in Deutschland. Als Politiker – oder besser als angehender Politiker – hat man jetzt eine echte Chance. Zum einen zeigt das Beispiel Trump, dass man gerade als Quereinsteiger heute gute Chancen hat, gewählt zu werden. Zum anderen hat Trump gezeigt, dass die Rolle der schimpfenden Abrissbirne heute durchaus gefragt ist. Nichts anderes macht schließlich den Erfolg der AfP in Deutschland aus.

Nun wäre es natürlich schön, wenn nicht überall auf der Welt Menschen vom Schlage eines Donald Trump politisch aktiv würden, sondern natürlich vor allem Menschen, die der Gesellschaft wirklich helfen wollen. Die sollten jetzt eine ganz einfach zu verstehende Agenda aufschreiben und diese in Trump-Manier dem politischen Betrieb in Berlin um die Ohren hauen. Die Themen sind klar: 1. gerechte Verteilung des Wohlstands in der Bevölkerung, 2. Entmachtung der großen internationalen Konzerne und Finanzdienstleister und 3. nachhaltiger und sofortiger Schutz der Umwelt. In diesen Punkten steckt so viel Potenzial, Menschen zu beschäftigen und echte Innovationen voranzutreiben, dass es eigentlich nur logisch ist, solche großen Veränderungen jetzt sofort anzugehen.

Zum Beispiel könnte man Autos per Gesetz komplett aus den Städten verbannen. Dann müsste die deutsche Automobilindustrie neue Mobilitätskonzepte und Fahrzeuge speziell für die Stadt entwickeln. Die freien Flächen könnten dann mit Bäumen bepflanzt oder für soziale Aktivitäten genutzt werden. Die Menschen würden endlich wieder frische Luft atmen und die Städte wären im Sommer deutlich kühler. Würde dies flächendeckend umgesetzt, wäre Deutschland wieder ein echter Innovationsmotor, der seine neuen Ideen gewinnbringend in die Welt exportieren könnte.

Natürlich klingt das jetzt wieder utopisch, aber die „Alternative für Deutschland“ ist leider nur ein deutscher Donald Trump und ein lauter Knall. Und das hat es ja alles schon einmal gegeben.

bookmark_borderÜber UNGLEICHHEIT AUF KNOPFDRUCK

Seit meinem letzten Beitrag über den ‚Gott Geld‘ und seine weitreichenden Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat mich dieses Thema nicht mehr losgelassen. Irgendwo hinter dem Schleier des Geldes liegt für mich eine wesentliche Ursache für die Schieflage oder besser den Teufelskreis, in den wir als Menschheit geraten sind und in den wir den Rest der Welt mit hineinziehen. Geld entmenschlicht unser Handeln. Unser Zusammenleben wird „finanzialisiert“. Alles, was wir tun, geschieht nur noch unter der Prämisse maximaler Rentabilität.

Deshalb habe ich mich in den letzten Monaten noch einmal intensiv mit den verschiedenen Facetten des Geldsystems auseinandergesetzt und bin dabei auf etwas ebenso Interessantes wie Beängstigendes gestoßen.

Zunächst bietet eine Geldwirtschaft natürlich zahlreiche und oft zitierte Vorteile für unsere Gesellschaft wie Tauscheffizienz, Wertaufbewahrungsfunktion oder Innovationsförderung. Als universelle Maßeinheit erleichtert Geld die Bewertung und den Vergleich verschiedener Güter und Dienstleistungen und fördert damit die Entwicklung spezialisierter Berufe und Fähigkeiten, da es den reibungslosen und schnellen Austausch dieser Leistungen und Produkte überhaupt erst ermöglicht. Die Möglichkeit, Kapital zu sparen und zu investieren, aber auch die Möglichkeit, für ein Projekt einen Kredit aufzunehmen, fördert Innovation und technologischen Fortschritt. Diese Aspekte – um nur einige zu nennen – haben zweifellos wesentlich zu unserem heutigen Wohlstand und unserer gesamtgesellschaftlichen Produktivität beigetragen.

Und dann bin ich bei meinen Recherchen auf ein Phänomen gestoßen, das mich zutiefst beunruhigt und das möglicherweise der Kern vieler Probleme unseres Wirtschaftssystems ist. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff „Keystroke-Kapitalismus“ bekannt, der die moderne Praxis beschreibt, Geld digital zu erzeugen – oft durch nichts weiter als das Drücken einer Taste auf einer Tastatur.

Natürlich sind die großen Probleme, mit denen wir heute zu tun haben, immer multikausal, aber dieser eine Sachverhalt scheint dem Ganzen zugrunde zu liegen und die Probleme immer weiter zu verschärfen. Es handelt sich, bildlich gesprochen, um eine Anomalie im Maschinenraum des Kapitalismus. Diese Anomalie hängt eng mit dem Privileg der Geldschöpfung zusammen und wirkt sich direkt auf die verfügbare Geldmenge und deren Verteilung aus.

Ursprünglich basierte unser Finanzsystem auf realen Werten wie Gold und Silber. Diese Edelmetalle bildeten jahrhundertelang das Fundament der Wirtschaft. Im Mittelalter begann sich dieses System zu verändern, als Kaufleute und Bankiers zunehmend auf Bankschulden und Buchgeld zurückgriffen. Statt Gold physisch zu transferieren, veränderten die Banken die Kontostände ihrer Kunden durch einfache Buchungsvorgänge. Diese Form des Geldes, die nur als Zahl in den Bankbüchern existierte, setzte sich aufgrund ihrer Effizienz und Praktikabilität rasch durch.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Bankensystem weiter und das Vertrauen in das Buchgeld wuchs. Dieses Vertrauen war jedoch nicht unerschütterlich, und es kam immer wieder zu Bankenkrisen und „Bank Runs“, bei denen viele Menschen gleichzeitig versuchten, ihre Einlagen abzuheben. Um die Instabilität zu begrenzen, wurde das Bankensystem schließlich durch die Einführung von (staatlichen) Zentralbanken ergänzt, die als Hüter der (materiellen) Reserven fungierten und so eine neue Vertrauensebene schaffen sollten. Die Zentralbanken hielten Gold und andere Reserven, während die Geschäftsbanken und ihre Kunden nur (fraktionale) Ansprüche in Form von Buchgeld auf diese Reserven hatten.

Dieses System erreichte seinen Höhepunkt im Bretton-Woods-Abkommen nach dem Zweiten Weltkrieg, das den US-Dollar zur Leitwährung der westlichen Welt erklärte und eine (teilweise) Golddeckung des Dollars vorschrieb. 1973 wurde die Goldbindung des Dollars dann endgültig aufgehoben. Seither existieren die Reserven nur noch als buchhalterische Einträge ohne materiellen Wert und es entstand unser heutiges Fiat-Geldsystem, in dem Geld nur noch durch staatliche Autorität gedeckt ist.

So weit, so gut. Wir haben also den Finanzmarkt durch unsere demokratischen Mitbestimmungsrechte unter Kontrolle, oder? Die Antwort lautet: Leider nicht.

Im heutigen Finanzsystem sind nämlich die Privat- und Geschäftsbanken die eigentlichen proaktiven Akteure, die über die Kreditvergabe den Hauptteil der Geldschöpfung übernehmen und somit indirekt auch über dessen Verteilung bestimmen (dazu aber in einem späteren Beitrag noch mehr). Entgegen dem traditionellen Bild, dass Banken nur vorhandenes Kapital verleihen, haben sie sich längst vom Kapitaleigentum emanzipiert. Stattdessen fungieren sie als die eigentlichen Initiatoren der Geldschöpfung, während die Zentralbanken eine reaktive Rolle einnehmen und die daraus resultierende Nachfrage nach Zentralbankgeld zuverlässig befriedigen.

Der zugrundeliegende Prozess ist denkbar einfach und zugleich von großer Tragweite: Wenn eine Privat- oder Geschäftsbank einem Kunden einen Kredit gewährt, wird das Geld nicht aus vorhandenen Einlagen entnommen. Es entsteht vielmehr in dem Moment, in dem die Bank den Betrag auf das Konto des Kreditnehmers gutschreibt. Dies geschieht buchstäblich per Knopfdruck oder „Keystroke“ – daher der Begriff. Das neue Geld entsteht in Form von Giralgeld, also digitalem Geld, ohne dass dafür physisches Bargeld oder zuvor angesammelte Ersparnisse benötigt werden. Damit ist die Geldschöpfung de facto privatisiert.

Dabei spielt natürlich das Verhältnis zwischen Geschäftsbanken und Zentralbanken eine entscheidende Rolle. Zentralbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) oder die Federal Reserve steuern den Geldmarkt – zumindest in der Theorie – unter anderem durch Mindestreserveanforderungen an die Geschäftsbanken. In der Praxis stellen die Mindestreserveanforderungen jedoch keine direkte Beschränkung oder Obergrenze für die Kreditvergabe der Geschäftsbanken dar. Die Aufgabe der Zentralbanken ist es, das gesamte Finanzsystem zu stabilisieren, weshalb sie die neuen Kreditvolumina den Geschäftsbanken, die in Vorleistung treten, immer auch retrospektiv verlässlich gewähren.

Im heutigen „Keystroke-Kapitalismus“ haben wir es mit einem Finanzsystem zu tun, in dem die Geschäftsbanken die aktive Rolle der Geldschöpfung übernehmen. Die Produktionskosten für Privat- und Geschäftsbanken für neues Geld sind dabei gleich Null – oder anders formuliert: Der Bock ist zum Gärtner gemacht worden.

Welche Konsequenzen diese Art des Kapitalismus für unsere Gesellschaft und den Umgang mit unserer Umwelt hat, möchte ich in den nächsten Beiträgen genauer beleuchten.

Anmerkung: Um den Beitrag verständlich zu halten und nicht zu sehr ins Detail gehen zu müssen, habe ich versucht, nur die wesentlichen Aspekte des Keystroke-Kapitalismus zu beschreiben. Ich empfehle jedoch jedem, der sich näher mit dem Phänomen beschäftigen möchte, den folgenden Fachbeitrag von Prof. Dr. Aaron Sahr zu lesen.

Aaron Sahr: Keystroke-Kapitalismus – Ungleichheit auf Knopfdruck

Und hier noch etwas Food for Thought von Bernie Sanders:

bookmark_borderÜber den GOTT GELD

Unglaublich, aber mein letzter Blogeintrag ist schon wieder sieben Monate her. Inzwischen ist im Pulverfass Naher Osten ein weiterer Krieg ausgebrochen, in den sich die USA und Großbritannien leider bereits aktiv eingemischt haben. Und Donald Trump wird trotz seines gescheiterten Putsches vom 6. Januar 2021 und einer Welle von Klagen gegen ihn höchstwahrscheinlich der Präsidentschaftskandidat der Republikaner bei den diesjährigen Wahlen sein. Insofern sehe ich mich leider in meiner Feststellung aus dem vorigen Beitrag bestätigt, dass die Zahl und das Ausmaß der globalen Fehlentwicklungen exponentiell zunehmen.

Was mich besonders schockiert, sind die offenen und lang andauernden Kriege, die mit der Zeit zu einer Art selbstverständlichem Hintergrundrauschen geworden sind. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine macht mich besonders betroffen. Nicht nur, weil er in Europa stattfindet, sondern weil mich das eiskalte strategische Kalkül Wladimir Putins fassungslos macht. Er sieht Schwächen in der europäischen Gemeinschaft und eine sich abzeichnende Verschiebung des globalen Machtgefüges weg von den USA hin zu China und nutzt diese Situation sofort mit größter Brutalität und Skrupellosigkeit aus. Dabei schreckt er nicht davor zurück, den Hunger in den Ländern der Dritten Welt als Druckmittel einzusetzen und die eigene Bevölkerung an der Front durch den Fleischwolf zu drehen.

Eine Lösung des Konflikts scheint leider nicht in Sicht. Das ukrainische Volk wird wohl kaum seine in den letzten Jahren gewonnene Freiheit aufgeben und sich wie Weißrussland als Vasallenstaat Russlands in sein Schicksal ergeben, und Wladimir Putin wird wohl erst zu Verhandlungen bereit sein, wenn er zumindest die 2022 annektierten Gebiete vollständig unter seine Kontrolle gebracht hat. Wie man jetzt schon sehen kann, werden diese Gebiete dann völlig verwüstet und vermint und alle Städte in diesen Gebieten absolut unbewohnbar sein.

Ich persönlich sehe aber schon eine Chance für einen vorzeitigen Waffenstillstand. Ich könnte mir nämlich folgendes Szenario vorstellen: Russland und die Ukraine ziehen sich vollständig aus den annektierten Gebieten zurück. Die Gebiete gehören zwar offiziell noch zur Ukraine, aber es gibt ein gemeinsames Abkommen, dass sie nicht mehr von Menschen besiedelt werden. Sie werden zu einem Naturschutzgebiet erklärt und sich selbst überlassen. In kürzester Zeit würde hier ein für die Wissenschaft hochinteressanter Prozess einsetzen, wenn sich die Natur diese Gebiete zurückerobert. Für die Ukraine bietet sich mittelfristig die einmalige Chance, ein in Europa einzigartiges Naturschutzgebiet zu schaffen, das sanften Tourismus ins Land bringt. Man könnte in diesen Gebieten regelrechte Safaris anbieten, bei denen man die europäische (Mega-)Fauna wie Braunbären, Wölfe, Elche und Wisente bestaunen kann. Die Renaturierung der Landschaft überlässt man den Profis, wie z.B. den Bibern, die hier endlich ihrem natürlichen Gestaltungstrieb freien Lauf lassen könnten. Und das alles vor einer Tschernobyl-ähnlichen Kulisse. Da würde ich sofort eine Tour buchen. Und für Wladimir Putin wäre es zumindest ein Teilerfolg, schließlich hat er eine Pufferzone zu Russland geschaffen, die sich militärstrategisch recht gut absichern ließe.

Doch leider wird mir schon beim Schreiben dieser Zeilen klar, dass eine solche gemeinwohl- und umweltorientierte Einigung wohl sehr unwahrscheinlich ist. Wie bei allen anderen menschengemachten Fehlentwicklungen, wie dem inzwischen vor der eigenen Haustür spürbaren Klimawandel, dem rasant zunehmenden Artensterben, der um sich greifenden Umweltzerstörung und -verschmutzung oder allen Fragen sozialer Ungleichheit, scheint die Menschheit einfach keine Antworten auf derart große Probleme finden zu können.

Können wir also gar nichts mehr tun oder gibt es vielleicht doch noch eine Möglichkeit, gegen diese vielfältigen Fehlentwicklungen anzukämpfen? Ein letztes Aufbegehren wäre vielleicht noch einmal der Versuch einer Ursachenforschung. Was ist die treibende Kraft hinter all diesen Entwicklungen, die im vorigen Beitrag beschrieben wurden und die unser sicheres Ende bedeuten? Gibt es die eine Ursache, die all dem zugrunde liegt? Die eine Ursache, die es zu beseitigen gilt, um vielleicht doch noch eine Chance zu haben?

Ich habe den Verdacht, dass unser geliebtes Geld diese Ursache ist und dass es, je mehr Menschen ihr Leben danach ausrichten, wie eine Art Brandbeschleuniger für all unsere Probleme wirkt.

Geld ist unsere Religion geworden. Wir alle glauben an Geld. Wir glauben an den Wert eines Geldscheins und an das Guthaben auf unserem Paypal-Konto. Aber wie kann es sein, dass wir alle einer Religion angehören, ohne es zu wissen? Wir wurden weder gefragt noch getauft, und doch sind wir alle gläubige Anhänger dieser Religion und vollziehen täglich ihre Rituale.

Der Grund dafür liegt in den wirklich eigenartigen Eigenschaften des Geldes. Im Grunde hat es nur eine einzige Eigenschaft: Es ist zählbar. Aber interessanterweise gehorcht es auch einer Art Schwerkraft und es ist extrem technikaffin.

Die Zählbarkeit des Geldes vereinfacht unser soziale Miteinander in einer immer komplexer werdenden Welt. Wo früher in kleinen Gruppen und Gemeinschaften auf Währungen wie Ehre und Verlässlichkeit gesetzt wurde, füllt heute das Geld diese Lücke. Früher musste man sich sozial korrekt verhalten, sonst drohte der Ausschluss aus der Gemeinschaft, was in der damaligen Zeit mitunter einem Todesurteil gleichkam. Man musste also möglichst viel von dieser Währung anhäufen, damit man sich auch mal einen Fehltritt erlauben konnte, ohne dass der Kontostand gleich ins Minus rutschte, was, wie gesagt, verheerende Folgen gehabt hätte.

Heute haben sich solche sozialen Strukturen fast vollständig aufgelöst und sind einer internationalen, voll digitalisierten Bienenstockstruktur gewichen, in der jeder nur noch an sein persönliches Fortkommen in Form von Geldanhäufung denkt. Geld hat unsere alten Werte ersetzt und wird immer mehr zu unserem einzigen Wert. Und dieser Wert bestimmt immer mehr unseren eigenen Wert. Je höher der Kontostand eines Menschen, desto höher sein sozialer Rang. Mit anderen Worten: Man kann heute ein unfassbares Arschloch sein und trotzdem von allen (Followern) bewundert werden. Hauptsache, man ist reich. Das ist sogar fast die Grundvoraussetzung für Erfolg. Trump ist das beste Beispiel für diese totale Umkehrung unserer Werte.

Das eigentlich Interessante ist, dass Geld von Geld angezogen wird und sich zu immer größeren Klumpen zusammenballt, bis es sich schließlich gänzlich in den Händen einiger weniger befindet. Im Grunde ist es dasselbe Gesetz der Schwerkraft, das vor vier Milliarden Jahren aus frei schwebenden Materieteilchen erst größere Klumpen und schließlich die Erde entstehen ließ.

Diese Eigenschaft macht das Geld so ungeeignet für eine gleichmäßige und gerechte Verteilung des Wohlstands unter den Menschen. Es sorgt dafür, dass die wesentlichen Entscheidungen von einer absoluten Minderheit getroffen werden und selbst diese Menschen am Ende gar nicht die eigentlichen Entscheidungsträger sind, sondern das Geld selbst vorgibt, in welche Richtungen es investiert wird, nämlich in die mit der höchsten Rendite, sprich mit der höchsten Schwerkraft.

Dies geht Hand in Hand mit der Digitalisierung und Technologisierung unserer Gesellschaft. Wir verabschieden uns immer mehr von der realen Welt und werden Schritt für Schritt in die digitale Welt überführt (Stichwort „Screentime“), ob wir wollen oder nicht, denn Geld ist der Technologietreiber schlechthin. Geld ist immer auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten, die eine hohe Rendite versprechen. Da Technologie genau diese Einsparungs- und Optimierungspotenziale bietet und zudem wunderbar quantifizierbar ist, wird automatisch in die Weiterentwicklung von Technologien investiert. Mit der Folge, dass die Technologie immer weiter vorangetrieben wird, auch wenn es außer dem rein finanziellen keinen wirklichen Grund gibt, die Technologie weiter voranzutreiben.

Das ist z.B. auch der Grund, warum die Welle der künstlichen Intelligenz gerade mit voller Wucht über uns hereinbricht und wir de facto eine „Nachfolgespezies“ schaffen, ohne dass 99,99% der Menschheit damit einverstanden sind, geschweige denn gefragt wurden. Die Entscheidungen werden im Silicon Valley vom Geld selber getroffen, der einzelne Mensch spielt dort schon lange keine maßgebliche Rolle mehr. Es ist das Geld, das diese Entscheidungen trifft und das eigentlich gar nicht existiert, außer in unserer Vorstellung, indem wir alle daran glauben. Wir haben uns einen Gott erschaffen, der uns nicht sieht.

Und da die Natur ein Gemeingut ist und keinen konkreten monetären Wert hat, bezieht das Geld sie nicht in seine Entscheidungen ein, sondern betreibt im Gegenteil Raubbau an ihr. Dasselbe gilt für soziale Werte, die aus der Sicht des Geldes nicht bezifferbar sind. Die Entscheidungen des Geldes gehen also per se immer zu Lasten der Umwelt und unseres Gemeinwohls mit all den schlimmen Folgen, die uns heute plagen. Wir müssen daher dringend nach Formen des Zusammenlebens suchen, in denen Geld als Verteilungsmedium keine Rolle spielt. Wir müssen dringend nach Alternativen zum Geld suchen, bevor es silikonbasierte Alternativen zum Menschen finanziert und wir als wertloser Abfall auf der Müllhalde der Geschichte landen. Es ist an der Zeit, sich gegen diesen Gott aufzulehnen und sich von dieser Religion zu verabschieden.

bookmark_borderÜber den RAND DES EREIGNSISHORIZONTS

Mein letzter Eintrag ist vom Oktober 2021. Jetzt haben wir Juni 2023. Das heißt, ich habe mich hier 20 Monate nicht mehr zu Wort gemeldet. Das ärgert mich ein bisschen und ich finde es auch irgendwie schade. Andererseits ist in dieser Zeit auch so viel passiert, dass ich mich mehr auf andere Dinge konzentrieren musste und keine Muße mehr für meinen Blog gefunden habe.

Ich hatte sie schon in einigen meiner früheren Beiträge erwähnt: Exponentialkurven. Sie sind der Grund, warum ich mich jetzt wieder melde. Ich habe nämlich das starke Gefühl, dass wir alle sehr bald den Punkt auf dieser Kurve erreichen werden, den man Singularität nennt. 

Das beste Beispiel, um diesen Gedanken zu veranschaulichen, ist ein schwarzes Loch, das im Grunde eine real existierende Exponentialfunktion darstellt. Bis zu einem gewissen Punkt kann man in dieses “Loch” hineinschauen. Aber ab einem bestimmten Punkt ist das nicht mehr möglich. Alles, was dahinter liegt, ist uns völlig unbekannt und wir werden es wahrscheinlich auch nie erfahren.

Wir Menschen haben es mit einer Reihe von exponentiellen Entwicklungen zu tun, die wir selbst verursacht haben und die wir immer wieder fälschlicherweise als “Krisen” bezeichnen. Eine Krise ist streng genommen ein zeitlich begrenztes Ereignis, das den Ausnahmezustand eines ansonsten stabilen Zustandes beschreibt und mit der Rückkehr zum Ausgangszustand endet. 

Bildlich gesprochen ist eine Krise also eher wie eine Murmel in einer Schale, die in Bewegung geraten ist, aber irgendwann wieder zum Stillstand kommt, wenn man die Schale nicht mehr bewegt. Womit wir es aber zu tun haben, sind Murmeln, die aus einer Schale rausgekullert sind und nun immer schneller einen immer steileren Abhang hinunterrollen. Dieser ist so steil, dass man sein Ende nicht sehen kann. Und genau an diesem Ereignishorizont befinden sich die vielen selbstverschuldeten exponentiellen Fehlentwicklungen, mit denen wir Menschen zu tun haben. Einige haben diesen Punkt leider sogar bereits überschritten.

Betrachtet man diese Entwicklungen im Zeitverlauf, so stellt man fest, dass jede einzelne einen exponentiellen Verlauf aufweist und die Großereignisse in immer kürzeren Abständen auftreten.

Hier eine komplett unvollständige und von mir schnell und subjektiv zusammengestellte Chronologie der wichtigsten Fehlentwicklungen der letzten 30 Jahre:

1989: Globalisierung des Kapitalismus

Mit dem Fall der Mauer 1989 stand dem Kapitalismus endgültig nichts mehr im Wege und die Globalisierung beschleunigte sich noch einmal rasant. Mit der Folge, dass auch China einbezogen wurde und sich zu einem massiven Brandbeschleuniger entwickelte, der seitdem wiederum andere Drittweltländer und ganze Kontinente wie z.B. Afrika mit hinein zieht.

2001: Globalisierung der Gewalt

2001 haben die USA und ihre Verbündeten dann den “Krieg gegen den Terror” begonnen und damit Gewalt und Hass in die Welt getragen. Allein dieser Begriff ist so absurd, dass er nur eine amerikanische Erfindung sein kann. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was besser ist, Krieg oder Terror. Ich tendiere sogar zum Terror, weil er weniger Tote und Kollateralschäden fordert. Aber egal. Jedenfalls wurde der ganzen Welt sehr deutlich vor Augen geführt, dass der Stärkere auch Gewalt anwenden darf, um den Schwächeren in die Schranken zu weisen und sich an ihm zu bereichern. 

2008: Globalisierung der Gier

Das nächste große Ereignis ereignete sich 2008 im Finanzsektor, als das gesamte Bankensystem aufgrund toxischer Finanzprodukte zusammenbrach und die Allgemeinheit den finanziellen Schaden zu tragen hatte. Einige wenige gierige und skrupellose Banker verbrannten die Ersparnisse von Millionen Menschen und machten sich aus dem Staub. Die Zeche zahlte der Staat und die Lehre, die einige daraus gezogen haben, war sicherlich, dass Tugenden wie Ehrlichkeit, Sparsamkeit und Verantwortungsbewusstsein eher hinderlich sind und man sich eine gewisse Skrupellosigkeit aneignen muss, um in dieser Welt vorwärts zu kommen.

2016: Globalisierung der Desinformation

Als direkte Folge der sich immer weiter öffnenden Vermögensschere und der zunehmenden Erosion der Tugenden und des Zusammenhalts in der Bevölkerung kam es 2016 zur – zumindest von mir nicht für möglich gehaltenen – Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. Nun gab es nicht nur toxische Finanzprodukte, sondern auch eine toxische Politik der Spaltung. Nicht, dass die Vorgängerregierungen nicht auch viele moralisch höchst verwerfliche innen- und außenpolitische Entscheidungen getroffen hätten, was natürlich nicht nur für die USA, sondern auch für ihre westlichen Verbündeten gilt. Nein, der Unterschied war, dass dies nun in aller Öffentlichkeit geschah. Die Entwicklung der sozialen Medien hatte den Boden dafür bereitet, aber es bedurfte einer Person wie Donald Trump, um Lügen gesellschaftsfähig und sachliche Diskurse irrelevant zu machen. Von nun an konnte man machen, was man wollte. Jede Kritik konnte in tausenden Nebelkerzen alternativer Fakten erstickt werden. Natürlich haben sich andere Regierungsvertreter das abgeschaut, aber auch für die Masse der Bevölkerung blieb diese Art des Miteinanders nicht ohne Folgen und die vielen kleinen Risse werden immer größer.

2020: Globale Pandemie

Dann kam Corona. Der Ausbruch dieses Virus im Winter 2019/2020 war ausnahmsweise ein natürliches Ereignis, aber auch das muss man bei näherer Betrachtung relativieren. Wir wissen noch nicht genau, woher das Virus stammt, aber entweder ist es von einer anderen Tierart zu uns übergesprungen oder es stammt aus dem Labor. Auch wenn es von einer anderen Tierart stammt, sind wir nicht ganz unschuldig an der Pandemie, denn wir dringen immer weiter in die Natur vor und erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit von Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden. Diese globale Pandemie hat uns gezeigt, dass wir zwar mit medizinischen Entwicklungen und Maßnahmen reagieren können, dass es uns aber auch sehr schwer fällt, einheitlich und geschlossen zu handeln. Rückblickend hat das Virus die vielen Gräben in der Bevölkerung, aber auch zwischen ganzen Nationen noch vertieft. 

Wir sind uns der Fragilität der globalen Lieferketten bewusst geworden, was zu einer Teilung der Welt in einen westlichen Teil um die USA und einen östlichen Teil um China geführt hat. Beide Nationen rasseln seither offen mit den Waffen und die Möglichkeit eines dritten Weltkrieges scheint leider sehr realistisch. 

2022: Krieg in Europa

Womit wir beim nächsten Großereignis wären: Dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022. Ohne das oben beschriebene Szenario und die militärischen Drohgebärden zwischen China und den USA wäre es vielleicht nicht dazu gekommen, aber so hat sich China dazu entschlossen, seinen Kettenhund Russland diesen Angriff durchführen zu lassen. Natürlich erst nach den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking, bei denen Wladimir Putin noch brav an der Seite seines Herrchens saß. 

Es fällt mir immer noch schwer, die Realität dieses Krieges zu begreifen. Ein Krieg, der so gar nicht in Raum und Zeit passt. Mitten in Europa finden im Moment gnadenlose Schlachten mit Panzern und Schützengräben statt, die bereits Tausende von Toten gefordert haben und mich viel mehr an den Ersten oder Zweiten Weltkrieg erinnern als an einen hochmodernen High-Tech-Krieg, wie ich ihn vielleicht erwartet hätte. Es kommt mir so vor, als wäre Adolf Hitler in Gestalt von Wladimir Putin durch den Schleier der Vergangenheit wieder aufgetaucht. Die gleiche hanebüchene und krude Propaganda, das gleiche martialische Auftreten vor großen Truppenverbänden, der gleiche Wahn um eine einzelne Figur, die die Kontrolle über ihre Gedanken verloren hat und menschliches Leben für wertlos hält. 

2022: Entfesselung künstlicher Intelligenz

Als wäre das noch nicht genug, drückt am 30. November 2022 jemand im Silicon Valley auf die Eingabetaste seiner Tastatur und setzt eine künstliche Intelligenz namens ChatGPT frei. Andere Unternehmen wie Google haben nicht lange auf sich warten lassen und daraufhin ihre künstlichen Intelligenzen freigeschaltet. Aus ökonomischer Sicht war dies der einzig denkbare Schritt, da sonst das Überleben des Unternehmens gefährdet gewesen wäre. Mit anderen Worten: Nach dem Öffnen der Büchse der Pandora ist der Bock zum Gärtner geworden. 

Nun könnte man sagen, dass das alles gar nicht so schlimm ist und wir schließlich von der neuen Intelligenz auf diesem Planeten sehr profitieren könnten, aber das setzt ein paar ganz wesentliche Leitplanken voraus, die es leider nicht gibt. 

Es müsste starke, weltweit gültige Regeln geben, die dafür sorgen, dass mit der neuen künstlichen Intelligenz kein Missbrauch getrieben wird und die Gewinne der Allgemeinheit zugutekommen. Dies ist angesichts der derzeitigen weltpolitischen Lage leider nicht zu erwarten. Das heißt, sie wird den Kräften des Marktes ausgeliefert sein. Ein reines Wirken zum Wohle der Menschheit wäre – zumindest kurz- und mittelfristig, und in diesen Zeiträumen werden leider auch Geschäftsentscheidungen getroffen – ökonomisch nicht sinnvoll. Die Dominanz kapitalistischer Entscheidungen lässt dies einfach nicht zu. Und schließlich ist da noch die Unbekannte der künstlichen Intelligenz selbst. Wie wird sie sich in dieser Welt verhalten? Was sind ihre Ziele und Wünsche? Von all dem haben wir nicht die geringste Ahnung, und insofern ist die Gefahr, die von dieser neuen Intelligenz ausgeht, eher mit der der Atombombe zu vergleichen.

Dies sind nur einige der vielen Fehlentwicklungen der jüngeren Vergangenheit, und mindestens ebenso elementare, menschengemachte Katastrophen wie der Klimawandel oder das Artensterben spielen sich seit Jahrzehnten im Hintergrund ab, ohne dass wir bisher Maßnahmen dagegen ergreifen konnten. Auffällig ist, dass die Taktung der “Einschläge” zunimmt. Würde man sie auf einer Zeitachse darstellen, könnte man die exponentielle Zunahme dieser Einschläge sehr gut veranschaulichen. 

Wir befinden uns aktuell also in einem perfekten Sturm, sehr nahe an einem Moment, der alles zum Kippen bringen wird und über dessen Ereignishorizont wir nicht hinausschauen können. Wir wissen einfach nicht, was uns danach erwartet. Und genau aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, meinen Blog wieder regelmäßig mit neuen Beiträgen zu aktualisieren. Ich möchte diese Zeit bewusst für mich reflektieren und aufarbeiten und immer wieder einzelne Themen herausgreifen, die meiner Meinung nach vor den größten Veränderungen stehen.

bookmark_borderÜber Crew-Mitglied Nr. 58.65x.7k5.201

Wieder sind vier Monate vergangen bis ich mal wieder die Muße gefunden habe, einen neuen Eintrag zu verfassen. Ok, dann wollen wir mal:

Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2021. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Erde, das mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit aber ohne Ziel durchs All rast (Während die Erde nämlich mit über 100.000 km/h um die Sonne kreist, rotiert diese mit knapp 800.000 km/h um das Zentrum der Milchstraße, die wiederum zusammen mit Ihren Nachbargalaxien selber mit 2,3 Millionen km/h im Universum unterwegs ist).

Die Crew dieses Raumschiffes besteht aus verschiedenen Spezies, die wiederum in Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen und Stämme untergliedert sind. Dabei sind die Grenzen auf diesen Ebenen fließend und es ist auch eher die Regel als die Ausnahme, dass viele Spezies sich dahingehend entwickelt haben, in oder auf den anderen Mitreisenden zu leben oder im Laufe der Reise, einfach zu einer komplett neuen Spezies zu verschmelzen. Im Großen und Ganzen kommt die Crew gut miteinander aus. Natürlich gibt es immer mal wieder Reibereien und Animositäten, die dann dazu führen, dass einige Crew-Mitglieder aussterben aber sie werden dann meist schnell durch neue, besser auf die jeweiligen Erfordernisse angepassten Spezi-alisten ersetzt.

Seit kurzen gibt es aber ein Mitglied, das besonders negativ auffällt – Crew-Mitglied Nr. 58.65x.7k5.201 („Homo sapiens“). Eigentlich gibt es Ärger mit ihm seitdem es auf dem Raumschiff aufgetaucht ist. Am Anfang war sein Verhalten noch recht unauffällig: Es hat nur seine direkten Cousins und Cousinen umgebracht. Das passiert ja in den besten Familien. Aber dann hat es Blut geleckt und ist mordend und plündernd durch das ganze Raumschiff gezogen. Auch das würde man ihm noch durchgehen lassen, wenn es nicht auch noch damit angefangen hätte, dass komplette Raumschiff in eine riesige Müllhalde zu verwandeln und die Klimaanlage zu zerstören. Es gibt immer mehr Crew-Mitglieder, die diese physische und psychische Belastung nicht mehr aushalten und sich irgendwo verkriechen oder sogar aussterben. 58.65x.7k5.201 hat also ein Massensterben im Raumschiff zu verantworten, das seine eigene Existenz allerdings vermutlich genauso beenden wird wie die anderen. Aber auch das ist vollkommen in Ordnung, denn genau wie das Raumschiff kein Ziel hat, so gibt es auch für die Zusammenstellung der Crew keine festen Vorgaben. Free-Floating ist angesagt.

Ganz langsam wird 58.65x.7k5.201 aber bewusst, was es getan hat und es sucht verzweifelt nach Möglichkeiten, wie es das von ihm ausgelöste Massensterben vielleicht doch noch überleben kann. Eines ist ihm dabei aber wichtig: Die Lösungen müssen angenehm und komfortabel sein und auf gar keinen Fall will es auf irgendwelche Annehmlichkeiten an Bord verzichten. Da es mit seinen geschickten Händen und seinem riesigen Hirn gerne Sachen baut, ist es für ihn vollkommen klar, dass es für die Lösung seines Problems irgendeinen Gegenstand anfertigen muss. Das macht je eh Spaß.

Und während es an den verschiedensten Modellen herumschraubt und ganz nebenbei einen weiteren Teil der Crew aufsnackt und immer mehr Müll produziert, schaut es sich so um und denkt sich: Ganz schön verdreckt hier! Was für eine Sauerei! Ein neues Raumschiff wäre eigentlich mal angebracht. Ok, 58.65x.7k5.201 ist dafür bekannt, dass es extrem crazy ist aber der Gedanke, das Raumschiff zu verlassen und ein Neues zu kapern setzt dem Ganzen dann doch den Hut auf. Die anderen Crew-Mitglieder schweigen natürlich und hoffen insgeheim, dass 58.65x.7k5.201 seine Pläne in die Tat umsetzt aber das wird niemals geschehen, denn dafür ist 58.65x.7k5.201 einfach zu zerbrechlich und der Raum zu groß.

Was 58.65x.7k5.201 nicht versteht oder verstehen will, ist die Tatsache, dass seine gesamte Existenz untrennbar mit dem Raumschiff verbunden ist. Es ist auf dem Raumschiff entstanden und wird sich auf dem Raumschiff auch wieder auflösen. Natürlich sind ein paar ganz kurze Außeneinsätze durchaus mal drin aber mehr auch nicht. Wenn man ihm versucht, diese Wahrheit näher zu bringen, dann reagiert es bockig. Es zieht sich in seine Werkstatt zurück und bastelt schnell an ein paar Sachen, um sich abzulenken. Hier auf dem Schiff zu bleiben würde ja bedeuten, auf die anderen Crew-Mitglieder zuzugehen, auf ihre Bedürfnisse und Wünsche einzugehen, das eigene Verhalten von Grund auf zu ändern und beim Aufräumen mit anzupacken. Not acceptable! Fake truth!

Aber im Grunde darf man auch nicht zu hart mit 58.65x.7k5.201 ins Gericht gehen. Es kann einfach nicht anders. Es ist genetisch dazu verdammt, irgendetwas mit seinen filigranen Greiferchen und seinem riesigen Hirnkasten zu machen. Von allen Lösungen für seine Probleme (und die seiner Mitreisenden) kann es nur einen winzigen Ausschnitt erkennen und der hat immer eine technische Komponente, für deren Realisierung natürliche Ressourcen transformiert werden müssen. Es ist ganz einfach blind für alle Lösungen, die mit einem „Weniger“ einhergehen und kann auch keine Apparaturen anfertigen, die es in dieser Hinsicht sehend machen.

Tja, und so rast das Raumschiff Erde völlig unberührt von dieser kleinen Episode weiter mit einem Affenzahn durch die Weiten des Alls und in Kürze wird 58.65x.7k5.201 nichts weiter sein als ein geologischer Logbuch-Eintrag, der beim Leser vermutlich nur Unverständnis oder Fremdscham und vielleicht sogar eine kleine Portion Mitleid hervorruft.

Leb wohl Crew-Mitglied Nr. 58.65x.7k5.201! Viel Spaß noch beim Basteln.

bookmark_borderÜber das VORSTELLBARE

Mein letzter Eintrag liegt nun schon wieder vier Monate zurück aber dieses Mal wundert es mich nicht so sehr wie beim letzten Mal. In den letzten vier Monaten sind wieder so unglaublich viele Dinge passiert, dass ich mich gar nicht auf ein einzelnes Thema fokussieren konnte.

Ich bin mittlerweile schon zweimal gegen das Corona-Virus geimpft worden und gehöre damit einem wachsenden Anteil der Bevölkerung in Deutschland an. Etwas mehr als die Hälfte der Menschen hat zum jetzigen Zeitpunkt eine Impfung erhalten und knapp ein Drittel ist bereits doppelt geimpft. Das schlägt sich mittlerweile auch deutlich in den Infektionszahlen nieder. In Münster, wo ich gerade zu Besuch bei meiner Mutter und Schwester bin, sind aktuell nach Angaben des Robert-Koch-Instituts nur noch 48 Menschen mit dem Corona-Virus infiziert und die 7-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen, liegt unter 3. Das sind natürlich sehr gute Zahlen und man könnte also meinen, dass wir das Schlimmste hinter uns haben.

Aber ist dem auch so? Können wir mit dem vermeintlichen Sieg über das Virus jetzt wirklich einfach wieder zu unserem „normalen“ Leben vor Corona zurückkehren und weitermachen als wäre nichts gewesen? Für viele klingt das sicherlich verlockend und irgendwie auch beruhigend, aber ich denke, wir wären gut beraten, wenn wir das nicht tun würden.

Wir sollten versuchen, das Geschehene und seine Ursachen zu verstehen und daraus Rückschlüsse ziehen, was wir anders machen können, damit es sich nicht wiederholt. Was jetzt schon – zum Teil sehr erfolgreich – passiert ist, ist die (mikro-)wissenschaftliche Erforschung des Virus und der Möglichkeiten seiner Bekämpfung. Was aber mindestens genauso wichtig ist, ist das Verständnis des Großen und Ganzen, sprich: Wie ist diese Pandemie in die globalen und historischen Zusammenhänge einzuordnen? Da auch diese Makro-Zusammenhänge sehr komplex und im Detail nur schwer vermittelbar sind, lohnt es sich, eine leichter verständliche und bildliche Geschichte zu erzählen.

Bildlich gesprochen kann man die Corona-Pandemie mit einem Tsunami vergleichen, der sich seinen Weg mit unbändiger Gewalt durchs Land gepflügt und dabei viele Todesopfer unter der vollkommen überraschten Küstenbevölkerung gefordert hat. Jetzt gerade befinden wir uns in dem Moment, in dem die erste Welle langsam wieder ins Meer abfließt. Überall um uns herum können wir die Schäden erkennen, die der Tsunami verursacht hat. Viele haben Familienangehörige, Freunde und gute Bekannte zu beklagen, die an Corona gestorben sind. Andere sind arbeitslos geworden oder sehen einer sehr unsicheren Zukunft entgegen. Fast allen tat die Zeit der Isolation in den eigenen vier Wänden nicht gut und sie leiden unter den Folgeerscheinungen häuslicher Gewalt, mangelnder Bewegung und sozialer Vereinsamung.

An dieser Stelle ist es vielleicht noch einmal wichtig, die ganz wesentlichen Merkmale eines Tsunamis hervorzuheben. Neben seiner hohen Zerstörungskraft sind besonders die Tatsachen, dass es sich dabei um mehrere aufeinanderfolgende Flutwellen handelt und die eigentliche Ursache auch durchaus weit entfernt liegen kann, besonders charakteristisch für einen Tsunami.

Wir sollten uns jetzt also fragen, was die Ursache war und mit welchen weiteren Wellen wir noch rechnen müssen. Die Antworten auf diese Fragen sind meiner Meinung nach sehr einfach:

Das Erdbeben, das diesen Tsunami ausgelöst hat, ist die Bevölkerungsexplosion und die mit ihr einhergehende rücksichtslose Ausbeutung der Natur. Die nächsten Wellen, die sich am globalen Horizont schon ganz klar abzeichnen, sind neben weiteren Pandemien, das rapide Artensterben, die Klimaerwärmung, die Übersäuerung der Meere und atomare Kriege, um nur einige zu nennen.

Wir wurden also von einem Tsunami getroffen, den wir selbst ausgelöst haben und wir haben erst die erste Welle überstanden. Jetzt geht es einzig und allein um die Frage, ob wir uns als fähig erweisen werden, die außerordentlich komplexen und instabilen ökologischen Verhältnisse, die wir für uns selbst geschaffen haben, zu überleben.

Es müssen dringend wirkliche Veränderungen her und dabei geht es nicht mehr um Optimierungen bestehender Strukturen, Prozesse oder Technologien, sondern um eine grundsätzliche Neugestaltung unserer gesellschaftlichen Miteinanders und unserer Wechselwirkung mit diesem Planeten. Alle anstehenden Veränderungen müssen der oberste Prämisse unterliegen, sich vom Postulat des Wachstums zu lösen. Bei einem Krebsgeschwür löst ungehemmtes Wachstum bei jedem größte Besorgnis aus, wie sollte es in unserem Fall also zwingend positiv sein?

Hiermit könnte ich es für diesen Beitrag eigentlich belassen aber was an dieser Stelle besonders interessant ist, ist die Tatsache, dass eine Abkehr vom Wachstum für viele von uns kaum vorstellbar zu sein scheint. Genauso war auch die Möglichkeit, von einer globalen Pandemie heimgesucht zu werden, Mitte 2019 für die allermeisten kaum vorstellbar. Uns allen scheint es also an Vorstellungskraft und Fantasie zu fehlen und das ist schon wirklich bemerkenswert, da es doch gerade diese Eigenschaft ist, die uns Menschen so einzigartig macht.

Kann es also sein, dass wir uns in unserer selbst geschaffene Welt systematisch unserer eigenen Vorstellungskraft berauben? Beispiele dafür gibt es zumindest zu genüge – im Alltag, in der Politik, im Beruf oder bei Erziehung unserer Kinder.

Im Alltag sehen wir es an unserem unreflektierten Umgang mit den neuen Medien. Mit der rasend schnell voranschreitenden Digitalisierung verbringen immer mehr Menschen immer mehr Zeit damit, auf einen Screen zu schauen. Dass die so verbrachte Zeit deutlich weniger Sinneseindrücke erzeugt und die Fantasie dadurch nicht unbedingt stimuliert wird, ist recht offensichtlich.

Aber auch in Politik und Beruf gibt es systemische Fehlstellungen, die dazu führen, dass unsere Vorstellungskraft tendenziell unterdrückt wird.

Aufgrund der Kurzfristigkeit, die durch den politischen Wettbewerb entsteht, fährt die Politik mehr oder weniger auf Sicht, was eine echte Gefahr ist. Es gibt überhaupt keine Ansätze und Versuche mehr, ganz grundsätzliche Änderungen auf struktureller Ebene vorzunehmen, sondern man belässt es bei fantasielosen Versuchen innerhalb des bestehenden Systems kleinere Anpassungen vorzunehmen. Die Corona-Krise hat ja gezeigt, wozu die Politik grundsätzlich fähig ist und welche Gelder sie mobilisieren kann aber leider war die Mittelverwendung wieder nur sehr kurzfristig gedacht. Anstatt beispielsweise die breite Bevölkerung durch ein bedingungsloses Grundeinkommen vor der Krise zu schützen und damit einen wirklich vielversprechenden Weg aus dem Wachstumskrise einzuschlagen, wurden große Konzerne staatlich unterstützt und hochkomplexe Corona-Hilfen und Überbrückungsgelder bezahlt oder zumindest in Aussicht gestellt.

Im Berufsleben ist vor allem nüchternes und faktenbasiertes Arbeiten gefragt. Wenn man es damit dann aber an die Spitze einer Organisation geschafft hat, dann braucht man genau das Gegenteil: Risikobereitschaft und Fantasie. Aber genau das fehlt den meisten CEOs, weswegen sie als erste Amtshandlung dann auch meist den Bock zum Gärtner machen, bzw. McKinsey oder Roland Berger mit der strategischen Neuausrichtung beauftragen.

Auch unser Schulbetrieb scheint mir in dieser Form leider nicht sonderlich förderlich für die Fantasie unserer Kinder zu sein. Ich habe eher die Befürchtung, dass wir unsere Kinder schon ab der ersten Klasse auf eine Karriere bei McKinsey vorbereiten, als dass wir ihre individuellen Stärken, Interessen und Vorlieben fördern.

Als Antwort auf das oben beschriebene Tsunami-Szenario bedarf es also dringend systemischer Antworten auf allen Ebenen, die unsere Fantasie wieder beleben und belohnen. Bildlich gesprochen sind Fantasie und Vorstellungskraft die Abwehrkräfte unserer Gesellschaft. Sie ermöglichen es uns auf die verschiedensten Bedrohungen zu reagieren. Eine Stärkung dieser Abwehrkräfte – oder zumindest eine Verhinderung ihrer weiteren systematischen Schwächung – würde unsere gesamtgesellschaftliche Resilienz erhöhen. Sie würde uns helfen, die nächsten Wellen klarer vorherzusehen und wirklich neue und sinnvolle Maßnahmen für ihre Abwehr zu ergreifen.

bookmark_borderÜber PLATTFORMEN in der Pandemie

Mit Schrecken habe ich festgestellt, dass mein letzter Blog-Eintrag mehr als vier Monate zurückliegt. Die Welt war in einem Stillstand und gleichzeitig hat sie sich schneller gedreht als je zuvor. So schnell, dass ich gar nicht dazu gekommen bin, hier in meinen Blog zu reflektieren, was für gravierende Veränderungen und Ereignisse stattgefunden haben und gerade in diesem Moment auch noch stattfinden. Einige der Geschehnisse waren offensichtlich und jagen einem unmittelbar große Angst ein, wie z.B. der Sturm aufs Kapitol Anfang des Jahres oder die neuen Corona-Mutationen. Das alles würde schon reichen, um einem schlaflose Nächte zu bereiten, aber leider ist das nur die Oberfläche der Veränderungen, die aktuell in dieser Welt vor sich gehen. Die Dinge, die mehr oder weniger unbeobachtet passieren sind häufig nicht weniger beängstigend als ein Putschversuch in den USA oder eine globale Pandemie.

Ein Beispiel: Ende letzten Jahres hat das Bielefelder Konzern Oetker das Münsteraner Start-up Flaschenpost für eine Milliarde Euro geschluckt. Das hatte mich schon etwas verwundert. Wie kann es sein, dass mitten in meiner alten Heimat Westfalen plötzlich Zustände wie im Silicon-Valley herrschen? Meines Wissens nach war Flaschenpost erst ein paar Jahre alt und hatte bisher nur Verluste von zwei oder sogar dreistelligen Millionenbeträgen eingefahren. Mir kam der Kaufpreis von einer Milliarde doch etwas übertrieben vor und daher habe ich mich mal etwas genauer damit auseinandergesetzt. 

Scheinbar wurde der Preis im Rahmen eines Bieter-Gefechtes zwischen Coca Cola und Oetker noch etwas in die Höhe getrieben. Beide Konzerne wollten sich das Start-up einverleiben – koste es was es wolle. Was diese Übernahmeschlacht aber noch unverständlicher für mich gemacht hat, war die Tatsache, dass Oetker in den vergangenen Jahres selber ein Start-up names „Durstexpress“ aufgebaut hat, dass mehr oder weniger eine genaue Kopie von Flaschenpost war. Die Erklärung war der bisherige Tätigkeitsradius der beiden Unternehmen. Während Durstexpress vornehmlich im Süden Deutschlands aktiv war, hatte sich Flaschenpost auf den Norden Deutschlands und angrenzende Länder wie die Niederlande konzentriert. Wenn man also beide Dienste zusammenführt, hat man mit einem Schlag eine deutschlandweite Plattform für Getränkelieferungen. 

Das macht schon Sinn, allerdings habe ich immer noch nicht verstanden, wie das Geschäftsmodell dieser digitalen Getränkehändler genau funktionieren soll und warum man bereit ist, dafür eine Milliarde Euro zu bezahlen. Die Getränkepreise für den Endkunden sind ja schließlich dieselben wie bei stationären Getränkehändlern und ich gehe mal davon aus, dass deren Marge eh schon nicht die allerhöchste war. Nur kommt jetzt mit der kostenlosen Lieferung an den Endkunden ein weiterer Kostenblock hinzu, der das bisschen Marge ja eigentlich komplett aufzehren müsste. 

Aus Sicht von Oetker sieht das aber alles etwas anders aus. Wenn sie mit der Zusammenführung der beiden Start-ups eine Monopol-ähnliche Getränke-Bestellplattform für ganz Deutschland betreiben, sind sie die Besitzer der Daten und können sie zu ihrem Vorteil nutzen. So kann sich der hohe Kaufpreis allein schon dadurch recht schnell für Sie amortisieren, dass sie ihre eigenen Produkte immer etwas prominenter und günstiger auf dem Bildschirm des Besuchers platzieren als die der Konkurrenz. Noch bevor der stationäre Handel endgültig niedergerungen bzw. durch das Angebot der kostenlosen Lieferung aus dem Markt gedrängt sein wird, werden sie auch wieder an der Preisschraube drehen und die zusätzlichen Lieferkosten komplett oder zumindest teilweise an den Kunden weitergeben. Zu guter Letzt können sie als Plattformbetreiber nun auch die Spielregeln für die angeschlossenen Getränkehersteller frei bestimmen und so noch tiefer in deren Taschen greifen. Um z.B. besser auf der Plattform in einer speziellen Produktkategorie wie z.B. „Mineralwasser“ gefunden zu werden, können sie den Herstellern entsprechende Werbemöglichkeiten auf der Plattform anbieten, die sie sich dann natürlich teuer bezahlen lassen. Für Oetker scheint dieser auf den ersten Blick total absurd scheinende Deal also aus vielerlei Gründen durchaus Sinn zu machen. Für die Mehrheit der Getränkehändler bedeutet er aber ihr sicheres Ende. Sie müssen sich eine neue Existenz aufbauen und die Diversität unserer Städte ist wieder um einen kleinen Teil ärmer geworden. Ein Gewinner, viele Verlierer.

Je länger ich mich mit dem Flaschenpost-Exit befasst habe, umso häufiger bin ich auf dieselben Vorgänge und Muster in anderen Branchen aufmerksam geworden. Die großen Gewinner der Corona-Krise sind die Plattformen. Allen voran natürlich Amazon, die gerade dabei sind, den kompletten Einzelhandel abzuschaffen. Für Investoren und selbsternannten Entrepreneure, die von ihrer Persönlichkeit her vor nicht allzu langer Zeit alle bei McKinsey & Co gelandet wären, ist Amazon das leuchtende Vorbild, dem es nachzueifern gilt. In allen Bereichen des Lebens versuchen sie, mit sehr viel Geld Plattformen zu errichten, die dann als Quasi-Monopol den jeweiligen Markt beherrschen. Dabei sprechen sie gezielt die niedersten Triebe der Konsumenten wie Faulheit oder Geiz an, was übrigens ein ganz wesentlicher Teil ihres Erfolges ist.

Besonders erschreckend ist diese Entwicklung im Moment in der Gastronomie zu beobachten, wo in den letzten Jahren eine Konsolidierung der verschiedenen Essenslieferdienste stattfand. Pünktlich zur Corona-Krise hatte der Essenslieferdienst „Lieferando“ in Deutschland eine monopolartige Position erlangt. Im zweiten großen Lockdown Ende des letzten Jahres hat fast ganz Deutschland sein Essen über diese eine Plattform bestellt. 

Ich will jetzt gar nicht im Detail darauf eingehen, wie sehr die teilnehmenden Gastronomen von Lieferando und Co ausgequetscht werden, sondern vor einem Szenario warnen, dass die oben erwähnten High-Perfomer in der Management-Etage der Essenslieferdienste schon ganz konkret planen: Sie wollen, wie auch schon die Kollegen bei der Flaschenpost, die gewonnenen Daten nutzen, um den auf ihrer Plattform versammelten Anbietern direkt Konkurrenz zu machen. Amazon hat es mit seinem eigenen Produktsortiment „Amazon Basics“ vorgemacht. Sie mussten sich nur die Daten anschauen, um zu sehen, welche Produkte in welchen Regionen von welchem Käufern zu welchen Jahreszeiten, usw. besonders profitabel sind. Diese haben sie dann selber irgendwo in Asien produzieren lassen und unter der Eigenmarke „Amazon Basics“ immer etwas günstiger und prominenter als die Konkurrenzprodukte angeboten. Die ursprünglichen Anbieter dieser Produkte konnten nichts dagegen machen. Für Amazon hingegen liegt das Risiko in einer solchen „Produktentwicklung“ bei Null. 

Und genau diese „retrograde“ Produktentwicklung ist es, was nun auch die Betreiber der Essenslieferdienste vorhaben. Sie bauen in den Städten Großküchen auf, in denen die beliebtesten Gerichte zubereitet und anschließend ausgeliefert werden. Vermarktet werden diese Gerichte über hauseigene „Ghost Restaurants“. Dabei handelt es sich im Grunde nur um virtuelle Marken ohne eigenen Restaurantbetrieb. Für den Besucher der Apps oder Webseiten der Essenslieferdienste unterscheiden sie sich nicht von echten Restaurants. Die Großküchen kann man sich dann in etwa so vorstellen wie ein Logistikzentrum von Amazon oder Zalando, nur dass hier die verschiedenen Gerichte der Ghost Restaurants an verschiedenen Stationen gekocht werden. Die Arbeitsbedingungen in diesen Kochfabriken sind dann sicher auch vergleichbar mit denen von Amazon. Aber natürlich planen die Essenslieferdienste noch weiter. Früher oder später wollen sie die Großküchen komplett automatisieren, in dem alle Geräte von Robotern bedient werden. Aber dann dürfte die meisten echten Restaurants schon pleite gegangen sein, weil sie im Preiskampf gegen die Ghost Restaurants auf einer feindlichen Plattform mit ihrer Kostenstruktur eh keine Chance haben. Für die Lebensqualität in unseren Städten wäre das ein Supergau.

Hier sollten der Staat und die Stadtregierungen meiner Meinung nach schnellstmöglich tätig werden und beim Aufbau von „Essenslieferdiensten von Gastronomen für Gastronomen“ unterstützen. Die Gastronomen könnten sich dann auf ihrer eigenen Plattform mit fairen Spielregeln und ggfs. sogar einer jährlichen Gewinnausschüttung für alle Teilnehmer vereinen und würden den kommerziellen Essenslieferdiensten damit ihrer Geschäftsgrundlage berauben. Die Städte würden damit ihre kulinarische Vielfalt bewahren, was sich natürlich auch positiv auf andere Bereiche wie Tourismus, allgemeine Lebensqualität, Attraktivität als Wirtschaftsstandort usw. auswirken würde. Im Erfolgsfall würde sich dieses Modell wahrscheinlich auch auf andere Branchen oder Regionen übertragen lassen.

Überspitzt gesagt kann man sagen, dass mit jeder neuen Plattform eine Branche ausstirbt. Aber ich sehe noch weitere Gefahren in dem Digitalisierungsschub, der gerade alles und jeden erfasst. Um der hohen Ansteckungsgefahr des Corona-Virus zu begegnen, wurden alle Jobs, bei denen es möglich war, ins „Home-Office“ verlegt. Viele der betroffenen Mitarbeiter haben es zunächst begrüßt, da sie nun etwas freier und selbstbestimmter arbeiten konnten und nicht mehr jeden Tag ins Büro pendeln mussten. Aktuell arbeiten die Unternehmen noch daran, diese Umstellung zu vollziehen und die passenden Angebote der aus dem Boden sprießenden digitalen Arbeits- und Austauschplattformen (oder sollte ich besser sagen: „zur Hilfe eilenden Einhörnern“?), wie z.B. Personio, Slack, Zoom, etc. auszutesten. Doch was machen die Unternehmen, wenn sie ihre Jobs vollständig in der Cloud eingerichtet und verankert haben? Dann verschieben sie sie in Länder, in denen das Lohnniveau geringer ist. Schließlich macht es dann aus Unternehmenssicht ja keinen Unterschied mehr, ob ein virtueller Job von jemanden aus München, Warschau oder Dakha erledigt wird. 

Die Veränderungen, die in diesen Zeiten im Hintergrund stattfinden sind enorm und sie gehen in einer solchen Geschwindigkeit von statten, dass man einem beim Zuschauen im wahrsten Sinne schwindelig wird. Wir befinden uns in dem fast senkrechten Teil in der Exponentialfunktion der Menschheitsentwicklung und an dieser Stelle enden alle Graphen, die ich zu dieser Funktion kenne. Der Grund ist einfach: Auf dem Papier / Bildschirm gibt es schlichtweg keinen Platz mehr um die weitere Entwicklung darzustellen. Ich bin gespannt, ob der auf unserem Planeten zur Verfügung steht. 

bookmark_borderÜber das PRODUKT MENSCH

Die Kommerzialisierung der Welt durch die Menschheit folgt in allen Ihren Dimensionen und Auswirkungen seit jeher einer Exponentialfunktion. Sie begann kaum merklich mit der Entdeckung Amerikas, stieg nach dem zweiten Weltkrieg spürbar an, nahm dann nach dem Zusammenbruch des Ostblocks vehement an Fahrt auf und befindet sich aktuell in jenem nahezu senkrecht ansteigenden Bereich exponentieller Funktionen, der für uns Menschen von Natur aus nur schwer zu begreifen ist.

Die Halbwertszeit von Nachrichten hat sich auf ein Minimum reduziert, während ihre Tragweite und Bedeutung für uns und unseren Planeten größer nicht sein könnte:

Das globale Klima ist komplett aus dem, vor nicht allzu langer Zeit noch als stabil angesehenen, Gleichgewichtszustand geraten. Kalifornien brennt während andere Teile der USA überflutet werden. In Sibirien werden Temperaturen gemessen wie sonst nur am Mittelmeer, was dazu führt, dass auch hier die Wälder brennen und der ehemalige Permafrostboden taut. So werden Unmengen an Methan und CO2 in die Atmosphäre abgegeben und der Klimawandel weiter befeuert. Die Weltmeere übersäuern und ersticken in einer nicht enden wollenden Flut aus Plastikmüll. Die Biodiversität des Planeten nimmt in einem Ausmaß ab wie das letzte Mal vor 65 Millionen Jahren. Flüchtlingsströme aus dem Süden stauen sich in unwirtlichen Camps, die nur für kurze Aufenthalte geplant wurden aber nun scheinbar zu einer festen Einrichtung unseres globalen Miteinanders geworden sind (und von Zeit zu Zeit in Brand geraten). Über Menschen Donald Trump oder Oliver Samwer möchte ich gar nicht erst sprechen.

Mit anderen Worten: Die ganze Welt scheint im Moment zu explodieren und während man fassungslos zuschaut, wie ein Schreckensereignis das nächste jagt, stellt man sich die Frage: Wie konnte es nur soweit kommen?

Eine gute Erklärung liefert der klassische Verlauf einer Exponentialfunktion: Zunächst steigt sie kaum merklich an. Bezogen auf uns, war dies die Phase zwischen 1492 und 1945 in der der Großteil der Menschen beruflich noch in die Fußstapfen seiner Eltern getreten ist. Zwischen 1945 und 2007 stieg die Kurve deutlich an. In dieser Phase hat die Bevölkerung der westlichen Welt stark von der Globalisierung profitiert, warum es für sie auch keinen Grund gab, den Fuß vom Gas zu nehmen. Natürlich waren auch im Jahr 2007 die weitreichenden und mehrheitlich negativen Folgen für die Umwelt und den Rest der Menschheit unübersehbar, aber da es keine unmittelbaren, persönlichen Konsequenzen gab, sah man sich auch nicht genötigt, etwas zu verändern. Im letzten Teil der Exponentialfunktion – von 2007 bis heute – hat sich die Situation noch einmal grundlegend geändert. Die Kurve steigt nun fast senkrecht nach oben an und die drastischen Veränderungen und schrecklichen Konsequenzen unserer Passivität fliegen uns jetzt auch im Westen um die Ohren.

Doch was genau war im Jahr 2007? Die Finanzkrise hat uns doch erst 2008 getroffen. 2007 hat uns etwas viel Mächtigeres und Zerstörerisches getroffen als eine lapidare Finanzkrise. Seit 2007 „läuft“ die Menschheit auf einem feindlichen Betriebssystem! Genauer gesagt seit dem 9. Januar 2007 – dem Tag, an dem Apple-Chef Steve Jobs das erste iPhone vorstellte. Dies war der Tag an dem der Mensch selber zum Produkt wurde. Und diesmal hat es auch die Menschen der westlichen Welt erwischt.

Um diese Entwicklung zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf das Geschäftsmodell sogenannter Boulevard-Zeitschriften.  Es gibt zwei ganz zentrale Unterschiede zwischen einer Boulevard- und einer Tageszeitung: Der Preis und der Inhalt. Während eine klassische Tageszeitung wie die New York Times oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung Geld kostet und um Sachlichkeit und Fakten bemüht ist, werden viele Boulevardzeitungen nahezu oder komplett kostenlos an ihre Leser verteilt und stehen für eine emotionalisierte Berichterstattung, in der laut Wikipedia „Informationen vorenthalten oder pauschalisiert und Sachverhalte verkürzt oder verzerrt dargestellt werden, mitunter stellenweise auch frei erfunden sind“.

Aber womit verdient die Boulevardpresse dann ihr Geld wenn nicht mit dem Verkauf Ihrer Zeitungen? Ganz einfach! Durch das kostenlose Angebot können Sie eine große Leserschaft hinter sich versammeln, die sie dann wieder an die Werbeindustrie verkaufen können. Je größer Ihre Leserschaft umso größer die Reichweite der Werbeanzeigen. Der Leser ist also zum Produkt geworden mit der Folge, dass es bei dem eigentlichen Produkt, der Nachrichtenerstattung, nicht mehr um Sachlichkeit und Fakten geht, sondern einzig und allein darum, möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren.

Dieser scheinbar harmlose Wandel in der Berichterstattung hat katastrophale Auswirkungen auf die Entscheidungsfähigkeit, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der breiten Bevölkerung. Natürlich lag diese Entwicklung schon weit vor dem Jahr 2007 aber erst durch die flächendeckende Verbreitung der Smartphones wurde aus diesem sehr gefährlichen Geschäftsmodell das neue Betriebssystem der global vernetzten Menschheit.

Unternehmen wie Apple, Google und Facebook haben es geschafft, die gesamte Menschheit hinter ihren Smartphones zu versammeln und ihre Aufmerksamkeit wiederum an die Werbetreibenden zu verkaufen. Um die „Eyeballs“ der „User“ möglichst lange an den Screens ihrer Endgeräte zu fesseln, haben die schlauesten Entwickler und Designer aus dem Silicon Valley in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass die Nutzung ihrer Apps abhängig macht. Nur so können sie sicherstellen, dass die User ihre Apps immer wieder öffnen und länger nutzen. Die dabei gewonnenen Nutzungsdaten verwenden sie dann für die optimale Ausspielung der Werbeanzeigen und natürlich auch für die weitere Optimierung ihrer Apps. Dabei schrecken sie auch vor dem Einsatz künstlicher Intelligenz nicht zurück, die uns in Form von hochentwickelten Algorithmen schon heute besser kennt als wir uns selbst und unsere Psyche immer erfolgreicher und vollautomatisiert „hackt“. Diesem Gegenspieler haben wir nur wenig entgegen zu setzen, insbesondere dann, wenn man sich der Gefahren für uns selbst aber auch für die Gesellschaft noch nicht einmal bewusst ist.

Man kann dem natürlich die vielen Vorteile der Digitalisierung und der sozialen Medien entgegenhalten aber das lenkt nur von der Tatsache ab, dass der Kern dieses neuen Betriebssystems der Menschheit,  ein kommerzieller und manipulativer ist. Genau wie bei der Boulevardpresse geht diesem neuen Betriebssystem nicht um Sachlichkeit und Fakten, sondern um einzig und allein um Gewinnung und Ausschlachtung von Aufmerksamkeit. Abhängigkeiten, Psychosen und mediale Echo-Kammern mit all ihren fatalen Folgen für die Gesellschaft nimmt man dafür gerne in Kauf.

So haben wir uns selbst zum Produkt gemacht und jetzt starren wir voller Verwunderung und Entsetzen aus dem Einkaufsregal auf all die Katastrophen und Dramen, die sich vor unseren Augen in den Gängen dieses Kaufhauses namens Erde abspielen, unfähig auch nur den kleinsten Mucks von uns zu geben.

Daniel K., München

bookmark_borderÜber GELD, DAS MAN NICHT ESSEN KANN

Ich lese gerade das Buch „Die ersten Amerikaner – Eine Geschichte der Indianer“ von Thomas Jeier. Das folgende Zitat im Einführungskapitel „Indianer – gibt es die noch?“ hat in mir lange nachgehallt:

Wir Indianer leben heute in einer Welt der Verwirrung. Das ist es, die Verwirrung in unserem Leben. Wir sind Indianer und wollen nach Art der Indianer leben. Der Weiße Mann erzählt uns, dass wir wie die Weißen leben müssen, wenn wir in dieser Welt vorankommen wollen. Aber wie können wir etwas sein, zu dem wir nicht geboren sind?“ – Ben Black Elk, Oglala-Lakota, 1968

Genau wie die Indianer Mitte des letzten Jahrhunderts, und vermutlich auch heute noch, lebt mittlerweile auch die Mehrheit der „Weißen“ und mit ihnen Menschen aller anderen Hautfarben in einer Welt der Verwirrung. Wir haben kollektiv die Orientierung verloren und tun alles, um nicht den Anschluss zu verlieren und in dieser Welt voran zu kommen. Aber gleichzeitig merken wir immer mehr, dass sich diese Welt nicht richtig anfühlt, dass sie gegen unsere Natur gestellt ist. 

Heutzutage sind wir alle Indianer, denn Ben Black Elk hat mit seinem Zitat eine Problematik beschrieben, die dem Rest der Menschheit noch bevorstand. 1968 war die Sowjetunion und die mit ihr verbündeten Ostblockstaaten ein Gegenspieler der kapitalistischen Westens, der der Globalisierung des westlichen Wirtschaftsmodells in weiten Teilen der Welt noch einen Riegel vorschob. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 30 Jahren setzte sich der Kapitalismus dann aber auch in den osteuropäischen Ländern und schließlich – bis auf einige wenige Ausnahmen wie Nordkorea – weltweit durch. Und nachdem inzwischen auch China auf einem kapitalistischen Betriebssystem fußt, kennt das Kapital praktisch keine geographische Grenze mehr. 

Fatalerweise bezieht sich der Begriff „Wettbewerbsfähigkeit“ in dieser globalisierten Form des Kapitalismus nicht länger nur auf Unternehmen, die mit ihren Produkten um Kunden konkurrieren, sondern immer mehr auf Länder, die im Wettbewerb um die Ansiedlung von global agierenden Unternehmen stehen. Damit hat sich der Spieß umgedreht oder besser gesagt: Der Bock ist zum Gärtner geworden. Denn nun bestimmen nicht mehr die Staaten, bzw. ihre vom Volk gewählten Vertreter, die Spielregeln des sozialen Miteinanders, sondern profitorientierte Unternehmen und deren Anleger. Sie investieren ihr Geld nur dort, wo die Arbeitsbestimmungen, Rechtslage, Sozialabgaben und Umweltgesetze für sie am günstigsten sind. Die soziale Schere weitet sich so immer schneller und sämtliches Kapital und alle Macht akkumulieren sich bei dem reichen einen Prozent der Weltbevölkerung.

So haben wir auf globaler Ebene ein monströses Förderband erschaffen, das von der Gier nach Geld angetrieben wird und auf dem kostenlose Natur in giftigen Müll umgewandelt wird. An den beiden Enden dieses Fließbandes wurden die restlichen 99% der Menschheit entweder als Arbeits- oder als Konsumsklaven eingespannt.  

Der globale Süden wurde dabei zu einem rechtsfreien Raum degradiert, an dessen Ressourcen man sich nahezu kostenlos bedienen und in dem man seinen Müll genauso kostengünstig wieder entsorgen kann.  Doch auch das in sich oft uneins und gespaltene Europa wurde in den letzten Jahren von einem aktiven Mitgestalter und Profiteur in eine passive Zuschauerrolle gedrängt. Die USA und China haben das gesamte Förderband – von der Extraktion über die Produktion bis zur Vermarktung – inzwischen fest im Griff. 

Während die USA, genau wie Europa, bei der Produktion ganz klar von China abgehängt wurde, nehmen sie beim Thema Digitalisierung aktuell noch eine Vorreiterrolle ein. Für Europa sehen die Zukunftschancen in diesen Bereichen sehr schlecht aus. Die Entwicklungsrückstände zu Unternehmen wie Google, Amazon oder Huawei sind nicht mehr aufzuholen und Arbeitsbedingungen wie in China wollen wir hier auch nicht einführen. Über kurz oder lang werden die letzten europäischen Marktführer und Industrien dieser übermächtigen Konkurrenz zum Opfer fallen. Unsere Wirtschaft wird sich zwischen diesen beiden großen Mahlrädern vermutlich komplett auflösen und womöglich ergeht es uns bald ganz ähnlich wie den Indianern.

Uns Europäern droht also ein „Weniger“ aber ich versuche in diesem Blog ja gerade das „Mehr“ in dem „Weniger“ zu erkunden und im Falle von Europa brauche ich auch nicht allzu viel Fantasie, um es zu entdecken: 

Wenn wir in den klassischen Wirtschaftsbereichen sowieso bald abgehängt werden, warum gehen wir dann nicht einen komplett neuen Weg? Einen ganz eigenen Weg, der auf unseren großen gesellschaftlichen Traditionen und Errungenschaften aufbaut, der soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund stellt und unsere Beziehung zur Natur langfristig harmonisiert. 

Der Zeitpunkt für einen rigorosen Neuanfang könnte nicht besser sein. Die Corona-Krise hat uns vielleicht zum ersten Mal in der modernen Geschichte gezeigt, dass die Politik in Zeiten, in denen Gefahr droht, alles ermöglichen kann und Spielregeln jederzeit geändert werden können. Jetzt wäre der richtige Moment, um als Europäer zusammen zu stehen und eine gemeinsame Europäische Verfassung zu beschließen. Die Verfassung müsste ähnlich visionär sein, wie die Verfassung der Gründungsväter in Amerika von 1776 und genauso disruptiv wie die Geld- und Daten-fixierten Ausgeburten aus dem Silicon Valley. Sie wäre sozusagen ein neues Betriebssystem des gesellschaftlichen Miteinanders, das über nur einige wenige Schnittstellen mit dem des globalen Kapitalismus kompatibel wäre. In den wichtigsten sozialen und ökologischen Fragen würde der neue gesellschaftliche Vertrag so anders ausgestaltet sein, dass Unternehmen, die noch auf dem alten Betriebssystem laufen nicht andocken und mitmachen könnten. Ein schöneres Geschenk könnten wir den nachfolgenden Generationen nicht machen.

Das wäre dann echte Innovation und sobald wir hier die ersten Schritte unternehmen, bauen wir eine neue Kompetenz auf, die die USA und China so schnell nicht aufholen können, weil ihnen der gesellschaftliche Überbau fehlt. Mit der Zeit könnten wir so in Europa eine Gesellschaft etablieren, durchaus auch mit innovativen Technologien versehen, mit persönlichen Freiheiten, einem nachhaltigen Umgang mit der Umwelt, einer gerechteren Vermögensverteilung und einem hohen Lebensstandard für die breite Bevölkerung, dass auch andere Staaten ein ähnliches Upgrade ihres gesellschaftlichen Betriebssystems in Betracht ziehen. 

Veränderung durch Verabredung und Vereinbarung auf globaler Ebene ist vermutlich nicht möglich aber wenn ein Wirtschaftsraum wie die EU geschlossen mit einem guten Beispiel vorangehen würde, so könnten weitere dem diesem Beispiel folgen. Und irgendwann ist es dann vielleicht der Raubtierkapitalismus, der einsam und allein in ein Reservat gesperrt wird.