Über BILLIGES FLEISCH

Die Corona-Krise legt die grundlegenden Schwächen der globalen Zivilisation schonungslos offen. Sie führt uns die vielen gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten schmerzhaft vor Augen, die vorher bewusst verheimlicht, verharmlost und verdrängt wurden.

Gerade im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ offenbart die Corona-Pandemie mehr denn je die zunehmenden Defizite. Der Virus kann sich dort u.a. auch deshalb so schnell ausbreiten, weil Millionen US-Bürger nicht krankenversichert sind. Viele, die durch die Krise ihren Job verlieren werden, kommen noch hinzu und wer nicht versichert ist, scheut wegen der in den USA besonders hohen Gesundheitskosten eher davor zurück sich behandeln zu lassen. Das alles erleichtert die Ausbreitung des Virus.

Hinzu kommt die schlechte soziale Absicherung großer Teile der Gesellschaft und die soziale Ungleichheit in dieser ganz offensichtlich doch nicht so klassenlosen Gesellschaft, die sich in den jüngsten Unruhen vehement Ausdruck verschafft. All dies zeichnet sich unter dem hohen Druck, den die Corona-Krise auf die Gesellschaft ausübt, ganz unverkennbar ab.

Aber auch hierzulande werden gesellschaftliche Missstände aufgedeckt, deren Behebung für die gesamte Menschheit allerhöchste Priorität haben muss. Mit dem Tönnies-Skandal hat der Corona-Virus eine skrupellose Maschinerie offen gelegt, die zuvor überaus effizient, unter der Motorhaube des Alltages verborgen, ihre blutige Arbeit verrichtet hat: Die industrielle Massentierhaltung.

Der aktuelle Skandal bei Deutschlands größtem Schlachtbetrieb für Schweine in Ostwestfalen zeigt einmal mehr: Billigfleisch basiert auf einer nie da gewesenen industriellen, halb-automatisierten Massenvernichtung von Tieren, wird unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen betrieben und hilft dem Corona-Virus bei der Verbreitung.

Die Entstehungsgeschichte dieser lebensverachtenden Maschine ist relativ schnell erzählt. In den Nachkriegsjahren der 50er und 60er Jahre hieß es, jeder solle sich gesund und anständig ernähren, Fleisch für jedermann sollte möglich sein. Das Fleisch durfte also nicht so teuer sein. Im Gegensatz zu den Hungerzeiten im Krieg war das natürlich schon eine beachtliche soziale Leistung gewesen, aber leider hat sich das Ganze im Laufe der Jahrzehnte mit zunehmender Technisierung und Globalisierung immer weiter pervertiert.

Heutzutage pferchen wir weltweit Milliarden von denkenden, fühlenden und mit uns eng verwandten Lebewesen in entsetzlich enge Ställe, um sie “just in time” zu töten. Ihr Leben ist von der Geburt bis zu ihrem Tod eine reine Qual. Mitten in dieser Krise hat der deutsche Bundesrat auch noch einer Novelle der Tierschutz-Nutztierverordnung zugestimmt, die dazu führt, dass die grausame Kastenstandhaltung von Zuchtsauen acht weitere Jahre stattfinden darf. Und das obwohl die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen diese Form der Tierhaltung ist. 

Wie kann das sein? Wie ist es möglich, dass wir nicht in der Lage sind auf diese Zustände vernünftig und konsequent zu reagieren?

Es gab schon vor dem Tönnies-Skandal viele Fleischskandale und auch die miserablen Arbeitsbedingungen in dieser Branche sind keine Neuheit. Dennoch hat keiner dieser Skandale zu nachhaltigen Veränderungen geführt. Nachdem das Thema aus dem Fokus der Medien geraten ist, sind die Menschen wieder zu ihren alten Gewohnheiten zurückgekehrt und haben im Supermarkt zum Billigfleisch gegriffen, auch wenn ganz tief in ihnen eine leise Stimme der Vernunft dagegen rebelliert hat. 

Dies zeigt uns einmal mehr, dass wir in einer Kultur der Quantität und nicht der Qualität leben. Fleisch muss immer und zu jederzeit erhältlich sein. Anstatt darauf zu achten, gutes Fleisch aus artgerechter Haltung zu essen aber dafür auch mal Verzicht zu üben geht es in unserer Kultur nur darum, jederzeit Fleisch konsumieren zu können. Nur bei großen Mengen kann ein Preis realisiert werden, der eine dauerhafte Verfügbarkeit für jedermann ermöglicht. Die Qualität des Fleisches spielt dabei keine Rolle. 

Mehr (Fleisch) ist in jedem Fall besser. Und das wird uns in allen Bereichen der Gesellschaft vorgelebt. Die Ökonomen versuchen uns weiß zu machen, dass es ohne Wirtschaftswachstum nicht weitergehen kann, Fernreisen sind zur Normalität sogar für viele Schüler und Studierende geworden und jeder, der ein bisschen was auf sich hält, fährt einen riesigen SUV oder einen schnittigen Porsche. Mit diesen quantitativen Mustern und Gewohnheiten zu brechen stellt für die meisten Menschen eine unüberwindbare Herausforderung dar. Ihr gesamtes Denken und Handeln und ihre Stellung in der Gesellschaft ist rein auf quantitative Aspekte ausgelegt. Hier liegt die große Herausforderung. Wir als Gesellschaft aber auch jeder Einzelne sollten uns in allen Lebensbereichen weniger über Quantität als über Qualität Gedanken machen, denn weniger ist tatsächlich sehr oft mehr. 

Am Beispiel des Fleisch-Skandals lässt sich das für die gesamte Menschheit wunderbar zeigen:

Weniger Billigfleisch bedeutet mehr Umweltschutz: 

Massentierhaltung führt zu einem extrem hohen Wasserverbrauch. Das Wasser wird nicht direkt für die Tiere benötigt, sondern für den Anbau der Futterpflanzen, der im Übrigen auch noch sehr viel Platz beansprucht und zur Rodung von intakten Naturgebieten führt. Dies wiederum beschleunigt  das Artensterben und mindert so die Resilienz der Natur dauerhaft.

Weniger Billigfleisch bedeutet mehr Klimaschutz: 

Auch der Klimawandel wird durch die Massentierhaltung beeinflusst: Laut Umweltbundesamt stammten 2012 53 Prozent der gesamten Methan- und sogar 77 Prozent der Lachgas-Emissionen aus der Landwirtschaft. Diese Werte sind vor dem Hintergrund der globalen Gefahren des Klimawandels dringend zu reduzieren, doch leider steigt der weltweite Fleischbedarf noch immer an.

Weniger Billigfleisch bedeutet mehr Gesundheit:

In den letzten Monaten wurden wir alle mit einem – vermutlich zumindest für die meisten von uns – neuen Wort bekannt gemacht: „Zoonosen“. Dieses Wort ist “die Sammelbezeichnung für Infektionskrankheiten, die gleichermaßen bei Tieren und Menschen vorkommen und sowohl vom Tier auf den Menschen als auch vom Menschen auf Tiere übertragen werden können” und erklärt warum unser Hunger auf Fleisch immer wieder Pandemien auslöst. Die Massentierhaltung – egal ob sie nun in einer deutschen Fleischfabrik in Gütersloh oder auf einem chinesischen Tiermarkt in Wuhan stattfindet – sorgt dafür, dass wir in immer geringeren Abständen mit neuartigen und schwer kontrollierbaren Viren konfrontiert sein werden. 

Aber auch für jeden einzelnen Menschen würde ein Weniger an Fleisch eindeutig Mehr bedeuten:

Weniger Billigfleisch bedeutet mehr Gewissen:

Der israelische Geschichtsprofessor Yuval Noah Harari hat das Schicksal der industriell gezüchteten Tiere als eine der drängendsten ethischen Fragen unserer Zeit ausgemacht. Jahr für jahr schlachten wir Menschen Milliarden von fühlenden Wesen am Fließband –  jedes mit komplexen Empfindungen und Emotionen. Wie können wir Konsumenten nur mit dieser Schuld leben?

Weniger Billigfleisch bedeutet mehr Gesundheit:

Es weisen immer mehr Studien darauf hin, dass ein reduzierter Fleischkonsum gesünder ist. Zwar wird nicht jeder Mensch krank, der viel Fleisch isst, aber viele Krankheitsbilder werden durch hohen Fleischkonsum mit verursacht oder verschlimmert. Dieser Wirkungszusammenhang ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich aber zumindest diejenigen unter den Fleischliebhabern, die unter Darmkrebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Niereninsuffizienz, chronische Entzündungen, Arthrose oder Rheuma leiden, könnten ihrer Gesundheit vermutlich recht einfach und schnell etwas Gutes tun, wenn sie weniger Fleisch konsumieren würden.

Weniger Billigfleisch bedeutet mehr Genuss:

Tierwohl und Fleischqualität gehen Hand in Hand. Je höher das eine umso besser das andere. Kein Gourmet dieser Welt würde Fleisch aus industrieller Massentierhaltung konsumieren, kein Sternekoch würde es seinen Kunden anbieten. Warum sollte man also selbst hier Abstriche machen?

Es gibt wahrscheinlich noch viele weitere gute Argumente, die zeigen, dass ein “Weniger” von Billigfleisch ein “Mehr” an Lebensqualität bedeutet. Es ging hier aber auch gar nicht um Vollständigkeit, sondern um Anschaulichkeit. Wir sollten dringend auch in anderen Bereichen aufhören, in qualitativen Dimensionen des Schneller, Höher, Weiter und Mehr zu denken und uns dafür wieder mehr auf unsere eigenen persönlichen Bedürfnisse konzentrieren und herausfinden, welche Qualitäten im Leben für uns als Einzelpersonen und als Gesellschaft wichtig sind. 

Dann werden auch die Ökonomen uns nicht mehr davon überzeugen können, dass es ohne quantitatives Wachstum keine Zukunft geben kann.

Daniel K., München

QUELLEN:

https://www.foodwatch.org/de/aktuelle-nachrichten/2021/kastenstand-haltung-fuer-weitere-acht-jahre-erlaubt/

https://www.spiegel.de/wirtschaft/bundesrats-beschluss-zur-schweinehaltung-arme-saeue-a-5c8cc624-8ac4-46f2-b958-c185cdbc2b7a

https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/landwirtschaft-fischerei/tierhaltung-fleischkonsum/tierhaltung-fleisch.html

http://www.fao.org/3/ca4526en/ca4526en.pdf

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fleischproduktion-in-deutschland-was-sie-ueber-massentierhaltung-wissen-sollten-1.1899021

https://www.theguardian.com/books/2015/sep/25/industrial-farming-one-worst-crimes-history-ethical-question

https://www.wattpad.com/760117776-tierhaltung-zust%C3%A4nde-wie-im-kz-moderne-tierhaltung/page/2

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