Über die CHANCEN in der KRISE.

Als ich den letzten Beitrag veröffentlicht habe, war die Welt noch eine andere. Dann kam das Corona-Virus nach Europa. Seitdem ist nichts mehr so wie es war. Obwohl das Virus schon im Dezember 2019 in der chinesischen Millionenstadt Wuhan ausgebrochen ist und seither in China gewütet hat, kam es für uns dann doch recht überraschend. Es ist schon interessant, wie sehr man eine Gefahr unterschätzen kann, die in fernen Ländern bereits viele Tote gefordert und zu drastischen Maßnahmen geführt hat, aber zunächst einmal keinen unmittelbaren Einfluss auf den eigenen Alltag hatte. Wir haben es geschafft, sie solange zu verdrängen, bis wir unmittelbar betroffen waren.

Und plötzlich, von einem Tag auf den anderen, hat das Virus uns fest im Griff. Die Wirtschaft wurde soweit runtergefahren, wie ich es mir in den kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.

Am Anfang war ich mir der Tragweite dieser Veränderungen überhaupt nicht bewusst aber mit der Zeit sehe ich etwas klarer. Ich denke, dass es nun eine Zeit vor dem Corona-Virus und eine danach geben wird, insbesondere was unsere Konsumgewohnheiten angeht. Mein letzter Beitrag stammte noch aus der Zeit davor, dieser hier entsteht mitten in der Krise. Noch immer hat sich der Staub nicht gelegt und die Sicht auf die Zukunft ist äußerst verschwommen, dennoch ist klar, dass etwas Weltbewegendes geschehen ist, das unser aller Leben jetzt schon nachhaltig verändert hat und noch weiter verändern wird.

Unsere Reaktion als solche – auch wenn sie verspätet und in vielerlei Hinsicht sicher auch nicht fehlerfrei war – gibt aber Anlass, stolz auf unsere Gesellschaft zu sein. Ich denke, dass ein solches Verhalten einmalig in der Geschichte der Menschheit ist. Wir haben entschlossen und gemeinschaftlich reagiert, um unsere Schwächsten – die Alten und Kranken – zu schützen und dabei große wirtschaftliche Verluste und Risiken bewusst in Kauf genommen. Bis zu diesem Ereignis war ich felsenfest davon überzeugt, dass die Politik nur eine Marionette in den Händen der Wirtschaft ist aber ich wurde eines Besseren belehrt. Das stimmt mich zuversichtlich.

Wir befinden uns seither in einem historischen Ausnahmezustand: Um die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, wurden große Teile der weltweiten Produktion heruntergefahren, der Handel eingeschränkt, Schulen, Kitas und Geschäfte geschlossen und Reisen und soziale Kontakte auf ein Minimum beschränkt. Die Folgen dieses Ausnahmezustandes sind vielfältig:

Für die Umwelt sind sie durchaus positiv: Die NASA veröffentlicht Bilder auf denen der glasklare Himmel über China zu sehen ist und Deutschland wird allen Voraussagen zum Trotz bis Ende des Jahres sein Klimaziel erreichen. Was Klimaforschern mit ihren Appellen an die Politik über Jahrzehnte kaum gelungen ist, das schaffte das Corona-Virus in wenigen Tagen.

Für uns Menschen scheinen auf den ersten Blick jedoch die Nachteile des Shutdowns zu überwiegen. Viele wurden dadurch arbeits- oder auftragslos, während andere die Herkulesaufgabe bewältigen müssen, ihr Land am Laufen zu halten. Dabei wird einmal mehr deutlich, dass gerade schlecht bezahlte und wenig angesehene Jobs wie Pflegeberufe, die Müllabfuhr oder auch Paketzusteller besonders wichtig für die Aufrechterhaltung des Alltages sind. Mit zunehmender Dringlichkeit diskutieren wir jetzt die Frage, wie lange wir diesen Ausnahmezustand noch aushalten müssen, bzw. können.

Aus medizinischer Sicht ist die Antwort auf diese Frage mittlerweile recht eindeutig:  Der Ausnahmezustand muss so lange aufrechterhalten werden bis ein Impfstoff entwickelt wurde und dieser in solchen Mengen bereitgestellt werden kann, dass die gesamte Weltbevölkerung immunisiert werden kann. Denkbar wäre natürlich auch Medikament, das man den Erkrankten geben kann, um den Heilungsverlauf zu verkürzen und somit die Intensivstationen zu entlasten. In beiden Fällen muss man mit einem Entwicklungszeitraum von mindestens ein bis zwei Jahren rechnen. Die Alternative einer sogenannten “Herdenimmunität”, in der große Teile der Gesellschaft bereits infiziert waren und anschließend immun sind, erreichen wir nicht, ohne unser Gesundheitssystem komplett zu überlasten und somit Millionen von Toten in Kauf zu nehmen.

Vor diesem Hintergrund gehen große Teile der Bevölkerung aktuell davon aus, dass die globale Wirtschaft durch die Corona-Virus-Krise in eine schwere Rezession stürzen wird. Entsprechend niedrig ist die Anschaffungsneigung der Verbraucher. Aus Angst und Unsicherheit über die weiteren Entwicklungen beschränken sich die meisten in ihrem Konsumverhalten auf das absolut Nötigste.

Aber es gibt auch noch eine andere Erklärung, mit sich der Konsumrückgang zumindest in Teilen erklären lässt: Das zugegebener Weise erzwungene Erlebnis vieler Verbraucher, wie es sich anfühlt, wenn die Welt um einen herum auf das Nötigste reduziert wird oder wie „Die ZEIT“ es in dem Artikel „Brauch‘ ich das?“ vom 1. Mai so schön und treffend formuliert (1):

„Das Kaufen unnötiger Gegenstände war ja von jeher ein mystischer Akt und deshalb auch etwas fragil, kein natürlicher Impuls, sondern ein produziertes Bedürfnis, eigentlich nur möglich, solange es eben alle anderen auch taten und solange man nicht groß darüber nachdachte. Oder das Denken der Werbung überließ, die zwar jeweils nur zu einem Produkt verführen will, in der Summe aber fürs Konsumieren als solches wirbt, die täglich, sekündlich einen ökonomischen Phantomschmerz erzeugt. In dieser einzigartigen Krise tritt nun das Gemachte am Gewohnten hervor, man schaut sich gewissermaßen selbst ins Hirn. Und staunt.“

Mich erinnert diese Situation an eine Szene aus dem Animationsfilm „WALL·E – Der Letzte räumt die Erde auf“, in der die Menschen von einem kleinen Roboter aus einer Art medialen Koma erweckt werden und erstmals seit langen die echte Welt jenseits ihrer Monitore wieder entdecken und Gefallen an ihr finden.

Das Besondere an der aktuellen Situation ist, dass sie real passiert. Diesmal sind es nicht nur irgendwelche düsteren Zukunftsszenarien, vor denen uns grüne Aktivisten oder Klimaforscher warnen und dann auch noch massive Verhaltensänderung speziell in unserem Konsumverhalten von uns einfordern. Nein, diesmal ist es genau umgekehrt. Die Verhaltensänderung wurde von oben angeordnet. Mit einem Mal sind wir mitten drin. Wir erleben Sie mit all unseren Sinnen – 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche.

Natürlich sind die Einschnitte in unser Leben teilweise sehr drastisch und werden auch als sehr belastend empfunden. Aber das gilt nicht für alle Aspekte unseres neuen Lebens in der Corona-Krise. Einige dieser neuen Erfahrungen werden als durchaus angenehm und befreiend wahrgenommen. So sind z.B. Anwohner des Münchner Flughafens im Moment sehr glücklich über die neue Ruhe, die seit der Reduzierung des Flugverkehrs über ihren Dächern eingekehrt ist. Andere genießen die guten Luftwerte in der Münchner Innenstadt, die Ende März 2020 ähnliche Werte wie auf dem bayerischen Land vorweisen konnte. Auch die leeren Straßen werden von vielen als ein Zugewinn an Lebensqualität empfunden. Wieder andere erfreuen sich an Delphinen in der kristallklaren Bucht von Palma oder dem Anblick spektakulärer Bergketten, der den Bewohnern vieler indischer Dörfer zu Füßen des Himalayas aufgrund der Luftverschmutzung in den letzten 20 Jahren verwehrt geblieben ist.

All diese Erlebnisse wären ohne die Corona-Krise undenkbar gewesen und sie werden über die Krise hinaus in den Köpfen der Menschen nachwirken. Plötzlich ist eine autofreie Innenstadt nicht mehr unmöglich sondern ein durchaus realistisches Szenario. Zurückkehrende Luftverschmutzung nach der Krise wird von einigen Bewohnern Indiens, Italiens oder auch Münchens vermutlich sehr bewusst und negativ wahrgenommen werden, weil sie in der Krise erstmals eine Welt ohne erleben durften.

Dieses „Erleben“ von Veränderung ist das Besondere an der Krise und wird sicher dazu führen, das viele Menschen in der Zeit nach Corona nicht wieder 1:1 in ihre alten Konsumgewohnheiten zurückfallen werden.  Schlicht und einfach weil sie Gefallen an dem „Weniger“ gefunden haben. Eine aktuelle Umfrage von Accenture (2), die unter mehr als 3.000 Verbrauchern in 15 Ländern auf fünf Kontinenten durchgeführt wurde, stützt diese These. Demnach veranlasst die Krise die Verbraucher dazu, die Auswirkungen ihrer Kaufentscheidungen auf Gesundheit und Umwelt ernster zu nehmen.

Unterm Strich wird sowohl der aus Unsicherheit und Angst resultierende Konsumrückgang als auch das aufgrund des Erlebten veränderte Konsumverhalten zu einem massiven globalen Wirtschaftseinbruch führen.

Genauso werden vermutlich auch Unternehmen ihre Strategien vor dem Hintergrund des Erlebten nachhaltig anpassen. Zum einen werden Sie wahrscheinlich weniger Dienstreisen unternehmen, weil sie in der Krise plötzlich gezwungen waren, digitale Kommunikations-Tools zu verwenden und dabei zu ihrem Erstaunen festgestellt haben, dass sie eine echte Alternative zu teuren Dienstreisen sind. Dies wird wiederum zu weiteren, langfristigen Umsatzeinbußen in der Reisebranche führen.

Zum anderen hat die Corona-Krise den Unternehmen die Gefahren von langen, fein gegliederten Lieferketten deutlich vor Augen geführt. Sie führen zu einer hohen Intransparenz und Abhängigkeit von fremden Regionen, die sich im Krisenfall natürlich erst einmal selbst am nächsten stehen. Eine Sicherung durch Rückführung gewisser Teile der Produktion wird daher wohl alternativlos sein. Die daraus resultierenden Kostensteigerungen werden den allgemeinen Konsumrückgang dann nur noch weiter verstärken.

Wir könnten im Jahr 2019 also Augenzeugen des Konsums- und Globalisierungs-Peaks gewesen sein. Wir haben es in den letzten Jahren und Jahrzehnten insgeheim doch alle schon geahnt: Es konnte mit dem Turbo-Kapitalismus so einfach nicht weitergehen. Eine Wirtschaft die auf unendlichem Wachstum basiert, kann in einer endlichen Welt nicht funktionieren. Wir sind bis in den letzten Winkel der Erde vorgedrungen und haben uns jede erdenkliche Ressource ohne Rücksicht auf soziale Gerechtigkeit oder Naturschutz einverleibt. Nicht nur die Menschen in der dritten Welt wurden bis aufs Äußerste ausgebeutet, auch die Menschen in der westlichen Welt wurden instrumentalisiert. Sie wurden zu Konsum-Automaten umfunktioniert, deren Aufmerksamkeit die letzte Ressource in diesem Eroberungsfeldzug war, die insbesondere von Firmen aus dem Silicon Valley gnadenlos ausgeschlachtet wurde. Es ging uns dabei wie dem Frosch im Wasserglas, das ganz langsam erhitzt wird. Die graduellen Veränderungen haben keine Änderungen in unserem Verhalten auslösen können. Erst als wir mit der Krise bildlich gesprochen in das kochende Wasser geschmissen wurden, waren Veränderungen möglich. Von einem Tag auf den anderen.

Die nun einsetzende globale Rezession wird die Regierungen, Unternehmen und Konsumenten weltweit vor große Herausforderungen stellen aber bietet gleichzeitig die Chance für einen langfristigen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Die Corona-Krise hat unsere Schwachstellen schonungslos aufgedeckt und kann uns gerade deshalb als sicherer Wegweiser für den Wandel dienen.

Sie hat uns z.B. sehr anschaulich gezeigt, dass durch intensive Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft vieles möglich ist, um die drohenden Gefahren für die Menschheit abzuwenden. Meine Hoffnung ist, dass wir zukünftig auch bei anderen Themen auf Experten und Wissenschaftler hören werden, die andere Kurven flach halten wollen, wie z.B den Klimawandel oder das Artensterben, und nicht erst warten bis uns die nächste Katastrophe „überrascht“. Genauso hat die Krise das Missverhältnis zwischen Einkommen und gesellschaftlicher Wertschöpfung vieler Berufsgruppen offen gelegt (3). Wir könnten also auch mal über Steuerreformen nachdenken, die die Beziehung zwischen dem Einkommen und dem Wert berücksichtigen, den die entsprechende Arbeit für die Gesellschaft erzeugt.

Dies sind nur zwei Beispiele und ich denke, dass durch eine gründliche Aufbereitung der Corona-Krise viele weitere gute und zeitgemäße Ansätze für eine Reorganisation des Systems hin zu einer höheren gesellschaftliche und ökologischen „Resilienz“ identifiziert werden können.

Daniel K., München

QUELLEN:

  1. DIE ZEIT, MAI 01, 2020 (Brauch‘ ich das?, https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-05/konsum-kapitalismus-coronavirus-wirtschaftskrise-globalisierung)
  2. ACCENTURE, APRIL 28, 2020 (COVID-19 will permanently change consumer behavior, https://www.accenture.com/us-en/insights/consumer-goods-services/coronavirus-consumer-behavior-research)
  3. NEW ECONOMICS FOUNDATION, DEZEMBER 14, 2009 (A BIT RICH – Calculating the real value to society of different professions, https://neweconomics.org/2009/12/a-bit-rich)

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