Über ALIEN EARTH

„Alien Earth“ ist eine neue Serie des Disney-Konzerns, mit der ein weiteres legendäres Film-Franchise erfolgreich zu Grabe getragen wird. Es wird durch eine gnadenlose „Cliffhangerisierung“ auf dem Altar der Aufmerksamkeitsökonomie hingerichtet. Eine Geschichte kann heute nicht mehr einfach erzählt werden, sie muss ausgeschlachtet werden – und das endet, wie sollte es anders sein, fast immer mit dem Tod des eigentlichen Werks.

Dabei hatte die Serie so vielversprechend angefangen. Sie entwirft eine Zukunft, in der nicht mehr Regierungen, sondern einige wenige Mega-Konzerne das Sagen haben. Diese Akteure spielen ein tödliches Spiel um Macht. Sie nutzen jede Gelegenheit zum eigenen Vorteil – selbst wenn das bedeutet, die gefährlichsten Monster des Universums einzufangen, um sie auf der Erde zu studieren und ihre Fähigkeiten zu vermarkten.

An der Spitze dieser Konglomerate stehen allmächtige Einzelpersonen, die wie Könige und Kaiser durchregieren. Die Bevölkerung steht in einem totalen Abhängigkeitsverhältnis; die Bedingungen des Arbeitsvertrags können einseitig und willkürlich angepasst werden. Faktisch ist die Menschheit versklavt. Nicht die außerirdischen Monster sind die primäre Gefahr, sondern die Konzerne, die ihren eigenen Regeln folgen – ohne Rücksicht auf Verluste. Das Leben ihrer Angestellten ist bloße Verfügungsmasse.

Daher ist der Titel der Serie so passend gewählt. Diese Welt wirkt fremd, doch das liegt nicht an den Aliens, die auf die Erde verschleppt wurden, sondern an den Konzernen selbst. Diese sind zu Kreaturen mutiert – sie sind die eigentlichen „Aliens“ in dieser Serie. Die Welt ist fest in fremdartiger Hand.

Doch das Erschreckende ist: Dieses Szenario wirkt kaum noch fiktiv. Es fühlt sich beängstigend „wahrscheinlich“ an. Konzerne ersetzen Regierungen – genau das erleben wir heute.

Das Internet hatte der Menschheit ursprünglich einen freien Wissens-, Kultur- und Unterhaltungsraum geschenkt. Viele verorten seine historische Bedeutung zu Recht auf einer Stufe mit der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks.

Doch was als dezentrales Versprechen der Freiheit begann, hat sich schleichend in das größte Überwachungsinstrument der Geschichte verwandelt. Wir dachten, wir würden durch eine unendliche Bibliothek surfen und in freien „Communities“ kommunizieren. Dabei sind in dieser Sphäre Monster entstanden, die sich das digitale Territorium systematisch unter sich aufgeteilt haben. Oftmals geschah dies unter dem Deckmantel einer digitalen Hippie-Bewegung, wie Googles Motto „Don’t be evil” oder Facebooks scheinbare Meinungsfreiheit. Während wir ahnungslos surften, errichteten die Tech-Giganten vollüberwachte Gehege, in denen unsere Datenspuren geerntet wurden.

Die Tech-Giganten haben das Internet nicht gebaut, um uns zu befreien, sondern um uns zu ernten. Jahrelang haben wir arglos unsere Gedanken, unsere Kunst, unsere Debatten und unsere intimsten Fragen in die Suchschlitze und Timelines dieser Plattformen gefüttert. Doch in Wahrheit war es nichts anderes als die Akkumulation von digitaler Biomasse für das, was jetzt folgt.

Der aktuelle Hype um Künstliche Intelligenz ist der finale Akt dieser Enteignung. Die wenigen Konzerne aus dem Silicon Valley und China, die sich jetzt in das Rennen um KI stürzen, ohne überhaupt zu wissen, wohin es führt, haben den digitalen Raum nicht nur besetzt, sie haben ihn ausgesaugt. Sie trainieren ihre neuen, synthetischen Götter mit der kollektiven Intelligenz eines kleinen Teils der Menschheit: den Einträgen all jener, die sich in den letzten 20 Jahren einen Internetzugang leisten konnten. Um Erlaubnis haben sie jedoch nie gefragt, und die Lebenswelten und Ansichten aller anderen Menschen fließen nicht in die Erschaffung dieser neuen Götter ein. Es ist der perfekte, parasitäre Kreislauf: Wir liefern die Daten, die Konzerne destillieren daraus eine künstliche Intelligenz und verkaufen sie uns dann als unverzichtbaren Assistenten zurück.

Die Gefahr liegt hierbei nicht – wie in Hollywood oft dargestellt – in einem Amok laufenden Roboter, der die Menschheit auslöschen will. Die Gefahr ist subtiler und damit viel bedrohlicher: Es ist die totale Asymmetrie der Macht. Wenn nur eine Handvoll Unternehmen über die leistungsfähigsten KI-Modelle verfügt, besitzen sie das Monopol auf die Interpretation der Realität. Sie entscheiden, welche Antworten gegeben, welche Bilder generiert und welche politischen Narrative verstärkt werden. Am Ende übernehmen sie so die politische Macht. Gewählte Politiker werden vollends zu ihren Marionetten.

In dieser neuen Weltordnung sind Regierungen nur noch Kunden oder Bittsteller, die versuchen, mit stumpfen regulatorischen Schwertern gegen unsichtbare Algorithmen zu kämpfen. Die wahre Souveränität liegt bei denen, die die Rechenzentren besitzen. Sie sind die neuen Feudalherren, und wir sind die digitalen Leibeigenen, die auf ihren Plattform-Äckern schuften – entweder in der Rolle des „Daten-Donors“ oder des „Daten-Cleaners“ – in der Hoffnung, dass der Algorithmus uns wohlgesonnen ist.

Die „Alien Earth“, vor der uns die Serie warnt, ist keine ferne Dystopie. Wir leben bereits auf ihr. Das Internet und seine daraus entwachsenen Monster-Konzerne haben die Atmosphäre verändert, und wir merken erst jetzt, dass uns langsam die Luft zum Atmen ausgeht.

Doch inmitten dieser erstickenden Atmosphäre, die unsere Monster-Konzerne geschaffen haben, liegt für eine Region noch eine letzte, historische Chance: Europa.

Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und China, wo der Zug der unregulierten Tech-Macht und der totalen Datenkontrolle abgefahren scheint, hat die Europäische Union die Möglichkeit, die Weichen neu zu stellen. Wir müssen uns geschlossen gegen die dominanten globalen Akteure stellen und ihnen das Ernten der digitalen Biomasse unserer Bevölkerung entweder verbieten oder es durch konsequente Regulierung extrem teuer machen. Das ist der einzige Weg, wie die Gesellschaft die Hoheit über ihre eigenen Daten und damit über ihre digitale Souveränität zurückgewinnen kann. Die Macht muss beim Volk verbleiben.

Nur durch diesen entschlossenen, wertebasierten Alleingang kann Europa seinen eigenen Weg beschreiten und die Grundpfeiler von Freiheit und Demokratie gegen den digitalen Autoritarismus aus Ost und West verteidigen. Die Alien Earth ist vermeidbar, aber die Entscheidung für die Umkehr auf das Gleis der demokratischen Selbstbestimmung muss jetzt fallen.