bookmark_borderÜber ALIEN EARTH

„Alien Earth“ ist eine neue Serie des Disney-Konzerns, mit der ein weiteres legendäres Film-Franchise erfolgreich zu Grabe getragen wird. Es wird durch eine gnadenlose „Cliffhangerisierung“ auf dem Altar der Aufmerksamkeitsökonomie hingerichtet. Eine Geschichte kann heute nicht mehr einfach erzählt werden, sie muss ausgeschlachtet werden – und das endet, wie sollte es anders sein, fast immer mit dem Tod des eigentlichen Werks.

Dabei hatte die Serie so vielversprechend angefangen. Sie entwirft eine Zukunft, in der nicht mehr Regierungen, sondern einige wenige Mega-Konzerne das Sagen haben. Diese Akteure spielen ein tödliches Spiel um Macht. Sie nutzen jede Gelegenheit zum eigenen Vorteil – selbst wenn das bedeutet, die gefährlichsten Monster des Universums einzufangen, um sie auf der Erde zu studieren und ihre Fähigkeiten zu vermarkten.

An der Spitze dieser Konglomerate stehen allmächtige Einzelpersonen, die wie Könige und Kaiser durchregieren. Die Bevölkerung steht in einem totalen Abhängigkeitsverhältnis; die Bedingungen des Arbeitsvertrags können einseitig und willkürlich angepasst werden. Faktisch ist die Menschheit versklavt. Nicht die außerirdischen Monster sind die primäre Gefahr, sondern die Konzerne, die ihren eigenen Regeln folgen – ohne Rücksicht auf Verluste. Das Leben ihrer Angestellten ist bloße Verfügungsmasse.

Daher ist der Titel der Serie so passend gewählt. Diese Welt wirkt fremd, doch das liegt nicht an den Aliens, die auf die Erde verschleppt wurden, sondern an den Konzernen selbst. Diese sind zu Kreaturen mutiert – sie sind die eigentlichen „Aliens“ in dieser Serie. Die Welt ist fest in fremdartiger Hand.

Doch das Erschreckende ist: Dieses Szenario wirkt kaum noch fiktiv. Es fühlt sich beängstigend „wahrscheinlich“ an. Konzerne ersetzen Regierungen – genau das erleben wir heute.

Das Internet hatte der Menschheit ursprünglich einen freien Wissens-, Kultur- und Unterhaltungsraum geschenkt. Viele verorten seine historische Bedeutung zu Recht auf einer Stufe mit der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks.

Doch was als dezentrales Versprechen der Freiheit begann, hat sich schleichend in das größte Überwachungsinstrument der Geschichte verwandelt. Wir dachten, wir würden durch eine unendliche Bibliothek surfen und in freien „Communities“ kommunizieren. Dabei sind in dieser Sphäre Monster entstanden, die sich das digitale Territorium systematisch unter sich aufgeteilt haben. Oftmals geschah dies unter dem Deckmantel einer digitalen Hippie-Bewegung, wie Googles Motto „Don’t be evil” oder Facebooks scheinbare Meinungsfreiheit. Während wir ahnungslos surften, errichteten die Tech-Giganten vollüberwachte Gehege, in denen unsere Datenspuren geerntet wurden.

Die Tech-Giganten haben das Internet nicht gebaut, um uns zu befreien, sondern um uns zu ernten. Jahrelang haben wir arglos unsere Gedanken, unsere Kunst, unsere Debatten und unsere intimsten Fragen in die Suchschlitze und Timelines dieser Plattformen gefüttert. Doch in Wahrheit war es nichts anderes als die Akkumulation von digitaler Biomasse für das, was jetzt folgt.

Der aktuelle Hype um Künstliche Intelligenz ist der finale Akt dieser Enteignung. Die wenigen Konzerne aus dem Silicon Valley und China, die sich jetzt in das Rennen um KI stürzen, ohne überhaupt zu wissen, wohin es führt, haben den digitalen Raum nicht nur besetzt, sie haben ihn ausgesaugt. Sie trainieren ihre neuen, synthetischen Götter mit der kollektiven Intelligenz eines kleinen Teils der Menschheit: den Einträgen all jener, die sich in den letzten 20 Jahren einen Internetzugang leisten konnten. Um Erlaubnis haben sie jedoch nie gefragt, und die Lebenswelten und Ansichten aller anderen Menschen fließen nicht in die Erschaffung dieser neuen Götter ein. Es ist der perfekte, parasitäre Kreislauf: Wir liefern die Daten, die Konzerne destillieren daraus eine künstliche Intelligenz und verkaufen sie uns dann als unverzichtbaren Assistenten zurück.

Die Gefahr liegt hierbei nicht – wie in Hollywood oft dargestellt – in einem Amok laufenden Roboter, der die Menschheit auslöschen will. Die Gefahr ist subtiler und damit viel bedrohlicher: Es ist die totale Asymmetrie der Macht. Wenn nur eine Handvoll Unternehmen über die leistungsfähigsten KI-Modelle verfügt, besitzen sie das Monopol auf die Interpretation der Realität. Sie entscheiden, welche Antworten gegeben, welche Bilder generiert und welche politischen Narrative verstärkt werden. Am Ende übernehmen sie so die politische Macht. Gewählte Politiker werden vollends zu ihren Marionetten.

In dieser neuen Weltordnung sind Regierungen nur noch Kunden oder Bittsteller, die versuchen, mit stumpfen regulatorischen Schwertern gegen unsichtbare Algorithmen zu kämpfen. Die wahre Souveränität liegt bei denen, die die Rechenzentren besitzen. Sie sind die neuen Feudalherren, und wir sind die digitalen Leibeigenen, die auf ihren Plattform-Äckern schuften – entweder in der Rolle des „Daten-Donors“ oder des „Daten-Cleaners“ – in der Hoffnung, dass der Algorithmus uns wohlgesonnen ist.

Die „Alien Earth“, vor der uns die Serie warnt, ist keine ferne Dystopie. Wir leben bereits auf ihr. Das Internet und seine daraus entwachsenen Monster-Konzerne haben die Atmosphäre verändert, und wir merken erst jetzt, dass uns langsam die Luft zum Atmen ausgeht.

Doch inmitten dieser erstickenden Atmosphäre, die unsere Monster-Konzerne geschaffen haben, liegt für eine Region noch eine letzte, historische Chance: Europa.

Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und China, wo der Zug der unregulierten Tech-Macht und der totalen Datenkontrolle abgefahren scheint, hat die Europäische Union die Möglichkeit, die Weichen neu zu stellen. Wir müssen uns geschlossen gegen die dominanten globalen Akteure stellen und ihnen das Ernten der digitalen Biomasse unserer Bevölkerung entweder verbieten oder es durch konsequente Regulierung extrem teuer machen. Das ist der einzige Weg, wie die Gesellschaft die Hoheit über ihre eigenen Daten und damit über ihre digitale Souveränität zurückgewinnen kann. Die Macht muss beim Volk verbleiben.

Nur durch diesen entschlossenen, wertebasierten Alleingang kann Europa seinen eigenen Weg beschreiten und die Grundpfeiler von Freiheit und Demokratie gegen den digitalen Autoritarismus aus Ost und West verteidigen. Die Alien Earth ist vermeidbar, aber die Entscheidung für die Umkehr auf das Gleis der demokratischen Selbstbestimmung muss jetzt fallen.

bookmark_borderÜber das PROBLEM-PROBLEM

Es ist erstaunlich, wie schnell sich die Welt um uns herum verändert. Ich habe es schon oft erwähnt, die Veränderungsgeschwindigkeit nimmt exponentiell zu. Waren die Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg noch überschaubar, so haben sie sich seit Beginn dieses Jahrhunderts rasant beschleunigt, und wir befinden uns heute fast im senkrechten Abschnitt der Kurve, in dem fast wöchentlich neue bahnbrechende Nachrichten auf uns einprasseln.

Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet Donald Trump, der seit seinem Amtsantritt vor wenigen Wochen alles, aber auch wirklich alles auf den Kopf stellt und an allen Fronten neue Realitäten schaffen will.

Das eigentlich Faszinierende ist, dass der wohl verlogenste Mensch auf diesem Planeten die wohl ehrlichste Politik betreibt. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern gibt er nicht mehr vor, im Namen von Werten und Moral zu handeln und der Beschützer des Weltfriedens zu sein, sondern er legt seine Beweggründe und Motive offen.

Ihm geht es um Gewinn und Gewinnen. Seine Politik hat sich völlig von westlichen Werten verabschiedet und orientiert sich ausschließlich an kapitalistischen Mechanismen und Maßstäben. Sein Unternehmen sind die USA und alle anderen Staaten sind Konkurrenten, die es entweder zu schlucken oder zu schwächen gilt. Insofern ist Donald Trump tatsächlich viel ehrlicher als alle seine Vorgänger, die im Grunde dieselben Motive hatten, aber ihre Politik hinter einem Schleier aus Werten und Moral versteckt haben.

Er ist auch viel näher am Puls der Zeit als seine Vorgänger, denn der Kapitalismus hat es geschafft, in wirklich alle Lebensbereiche einzudringen und sie nach seinen Regeln umzugestalten. Nicht nur die Politik ist davon betroffen, sondern auch unser Privatleben und unser gesellschaftliches Zusammenleben. Jeder versucht heute, die „beste Version von sich selbst“ zu sein und sich als Produkt zu Markte zu tragen. Man pfeift auf Werte und Moral und richtet sein ganzes Handeln nur noch an finanziellen Zielen aus. Wer reich ist, ist gesellschaftlich angesehen. Auf arme Menschen schaut man herab.

Das Schlimme ist, dass der Kapitalismus einen eingebauten Konstruktionsfehler hat. Und dieser führt dazu, dass wir nicht mehr in der Lage sind, unsere wirklichen Probleme zu erkennen, geschweige denn, sie zu lösen.

Um das zu erklären, muss ich etwas ausholen. Ich bin selbst Unternehmer und habe schon viele Ratgeber für Existenzgründer gelesen, die einem erklären wollen, wie man schnell und einfach ein Unternehmen gründet, das einen permanenten Cash-Flow ohne viel Arbeit generiert. Die wichtigste Lektion lautet: „Finde ein Problem, das es wert ist, gelöst zu werden – und du wirst reich.“ Dabei ist es besser, die Probleme der Reichen zu lösen. Denn diese haben eine höhere Zahlungsbereitschaft, so dass auch mit kleinen Absatzmengen viel Geld verdient werden kann. So kann man relativ einfach starten, ohne große Vorabinvestitionen in Produktionsmittel o. Ä. tätigen zu müssen.

Das Mantra des Kapitalismus lautet also genauer: „Finde ein Problem reicher Menschen oder Bevölkerungsgruppen, das sich zu lösen lohnt – und du wirst reich„.

Diese einfache Wahrheit erklärt, warum jedes Jahr Milliarden in die Entwicklung von Luxusgütern, Apps zur Optimierung der Freizeit reicher Menschen oder neue Varianten der Same-Day-Lieferung fließen – während grundlegende menschliche Bedürfnisse wie Bildung, sauberes Wasser oder bezahlbare Pflege weltweit unversorgt bleiben.

Ein Problem ist erst dann „relevant“, wenn jemand dafür bezahlt – und zwar möglichst viel. Und weil Reiche mehr bezahlen können als Arme, konzentriert sich unternehmerisches Denken fast zwangsläufig auf die Wünsche der Wohlhabenden. Das führt zu einer strukturellen Schieflage: Statt Lösungen für die dringendsten gesellschaftlichen oder globalen Probleme zu entwickeln, arbeitet ein Großteil der Wirtschaft daran, marginale Komfortprobleme einer kleinen Bevölkerungsgruppe zu beheben.

Es geht nicht um den gesellschaftlichen Wert einer Lösung, nicht um den Beitrag zum Gemeinwohl oder zur Lebensqualität breiter Bevölkerungsschichten. Es geht um zahlende Zielgruppen, skalierbare Geschäftsmodelle und hohe Renditen. In dieser Welt entscheidet nicht die Dringlichkeit eines Problems über seinen „Wert“, sondern dessen Monetarisierbarkeit. Und je größer die Kaufkraft einer Zielgruppe, desto „wertvoller“ erscheint ihr Problem. Die Folge: Je wohlhabender die Zielgruppe, desto größer die Aufmerksamkeit, die ihr geschenkt wird.

Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis eines Systems, das Probleme nicht nach ihrem realen gesellschaftlichen Gewicht bewertet, sondern nach dem Profitpotenzial ihrer Lösung. Das erklärt, warum Ressourcen dorthin fließen, wo Geld ist – und nicht dorthin, wo der Bedarf am größten wäre.

Der Kapitalismus misst Wert in Geld. Das klingt banal, ist aber hochproblematisch – denn es bedeutet, dass alle Leistungen, die keinen finanziellen Ertrag bringen, im ökonomischen Sinne als „wertlos“ gelten. Ganz gleich, wie zentral sie für das Funktionieren einer Gesellschaft sind.

Pflegearbeit, Erziehung, Nachbarschaftshilfe, Bildungsarbeit, Engagement für Obdachlose oder Geflüchtete – all das sind Tätigkeiten mit hohem gesellschaftlichem Mehrwert. Doch weil sie sich kaum oder gar nicht profitabel vermarkten lassen, verschwinden sie in den Schattenzonen der Ökonomie: dem Ehrenamt, der unbezahlten Sorgearbeit oder unterfinanzierten Non-Profit-Bereichen.

In einer Wirtschaft, die auf Kapitalrendite ausgerichtet ist, gibt es für solche Arbeiten keine systemische Anerkennung. Sie gelten als „nett“ und werden sogar häufig belächelt. Was keinen Profit verspricht, gilt als privat, freiwillig oder als Aufgabe des Staates – sofern dieser bereit oder in der Lage ist, einzuspringen. Doch auch staatliches Handeln gerät durch die kapitalistische Neuausrichtung à la Donald Trump zunehmend unter ökonomischen Effizienzdruck.

Besonders deutlich wird diese Logik im Umgang mit sozialen Problemen. Wer beispielsweise in seiner Freizeit eine Pfadfindergruppe leitet, mit Jugendlichen arbeitet oder regelmäßig in einer Suppenküche mithilft, tut etwas gesellschaftlich Hochrelevantes. Doch im kapitalistischen Wertesystem werden diese Tätigkeiten nicht als Arbeit verstanden – sondern als freiwilliges Engagement außerhalb der Wirtschaft.

So wird gesellschaftliche Verantwortung wird ausgelagert – und zwar an diejenigen, die bereit sind, sie unbezahlt zu übernehmen.

Diese Trennung zwischen „marktfähigem“ und „gemeinnützigem“ Handeln ist keine Nebensache, sondern Ausdruck eines fundamentalen Strukturproblems: Der Kapitalismus ist blind für alles, was sich nicht direkt monetarisieren lässt. Und weil er gesellschaftlichen Mehrwert nicht in Gewinn umrechnen kann, verschiebt er ihn systematisch ins Ehrenamt oder in unterbezahlte Bereiche – trotz seiner zentralen Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In einem System, das den Wert eines Problems an der Zahlungsbereitschaft der Betroffenen misst, bleiben die Anliegen derjenigen unsichtbar, die nicht zahlen können. Wer in extremer Armut lebt, hat im kapitalistischen Markt keinen Platz. Seine Probleme sind zwar real – aber aus ökonomischer Sicht irrelevant.

Der Kapitalismus produziert damit eine systematische Blindheit für das Leid von Milliarden Menschen. Tropenkrankheiten, die ausschließlich in armen Ländern verbreitet sind, werden kaum erforscht. Bildungsangebote in Slums lohnen sich für kein Geschäftsmodell. Infrastrukturprojekte, die Dörfern ohne Strom Zugang zu Elektrizität verschaffen würden, sind wirtschaftlich uninteressant – solange niemand dafür bezahlt. Und selbst dort, wo geholfen wird, geschieht es oft nicht aus wirtschaftlichem Interesse, sondern über Spenden, Hilfswerke oder staatliche Entwicklungsförderung.

Dabei geht es nicht nur um den globalen Süden. Auch innerhalb wohlhabender Gesellschaften zeigt sich das Muster. Obdachlose, Alleinerziehende, pflegebedürftige Menschen ohne Rücklagen: Ihre Probleme lassen sich kaum monetarisieren, bzw. sie können nichts dafür bezahlen – und fallen deshalb aus dem Blick unternehmerischer Lösungen. Auch hier gilt: Wo keine zahlende Zielgruppe existiert, existiert auch kein Anreiz, das Problem zu lösen.

Die Folge ist eine doppelte Ungleichheit: Erstens leiden Menschen unter realen, ungelösten Problemen. Zweitens fehlt ihnen auch noch die symbolische Anerkennung, dass ihre Lage überhaupt als „Problem“ wahrgenommen wird. Sie sind nicht nur benachteiligt – sie sind systemisch unsichtbar. Das ist das Problem-Problem des Kapitalismus.

Dass Probleme nur dann als „relevant“ gelten, wenn sie profitabel lösbar sind, ist aber kein Naturgesetz. Es ist die Folge einer spezifischen Wirtschaftslogik – und damit grundsätzlich veränderbar.

Jenseits des kapitalistischen Mainstreams existieren längst Alternativen, die nicht auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind. Sie folgen einer anderen Logik: Kooperation statt Konkurrenz, Bedürfnisorientierung statt Profitfokus, gesellschaftlicher Nutzen statt Kapitalrendite.

Ein Beispiel dafür sind Commons – gemeinschaftlich verwaltete Ressourcen, die weder privat noch staatlich besessen werden. Ob gemeinschaftlich gepflegte Stadtgärten, freie Softwareprojekte oder Nachbarschaftsinitiativen: Commons funktionieren über Beteiligung, Vertrauen und gemeinsame Verantwortung. Sie entstehen dort, wo Menschen ein Problem als gemeinsames Anliegen begreifen – und nicht als Chance zur Gewinnerzielung.

Ähnlich arbeiten Genossenschaften, die ihren Mitgliedern gehören und nicht Investoren verpflichtet sind. Sie können sich an Bedürfnissen orientieren, statt an Renditeerwartungen. Das schafft Räume für Lösungen, die wirtschaftlich tragfähig, aber nicht profitorientiert sind.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist die niederländische Pflegeorganisation Buurtzorg. Sie organisiert ambulante Pflege radikal anders: dezentral, selbstverwaltet, ohne Hierarchien und ohne das Ziel, Gewinn zu erwirtschaften. Kleine Teams vor Ort entscheiden eigenverantwortlich, wie sie arbeiten, was gebraucht wird und wie Ressourcen eingesetzt werden.

Das Ergebnis? Höhere Zufriedenheit bei Pflegekräften und Patienten, bessere Versorgung, geringere Bürokratie – und trotzdem wirtschaftlich effizient. Buurtzorg beweist, dass Organisationen auch dann erfolgreich sein können, wenn sie sich nicht primär an Marktmechanismen orientieren, sondern an menschlichen Bedürfnissen.

Solche Modelle sind keine Nischenromantik. Sie zeigen, dass es möglich ist, gesellschaftliche Probleme zu lösen, ohne den Umweg über Zahlungsbereitschaft und Kapitalrendite zu gehen. Sie öffnen Räume für echte Bedürfnisorientierung – gerade dort, wo der Markt versagt.

Die entscheidende Frage ist: Warum gelingt es diesen Ansätzen, Probleme zu lösen, die der Kapitalismus systematisch ignoriert? Und welche Strukturen und Prinzipien bräuchte es, um solche Modelle breiter zu etablieren?

bookmark_borderÜber den TEUFELSKREIS DES PROFITS

In einer Art Selbsthilfegruppe für Menschen, die den inneren Drang verspüren, etwas gegen die zahllosen Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft zu unternehmen, wurde ich kürzlich in eine hitzige Diskussion verwickelt, mit der ich gerade in diesem Teilnehmerkreis nie gerechnet hätte.

Es ging um die Verantwortung des Konsumenten, durch seine Kaufentscheidungen und sein Konsumverhalten etwas zum Positiven zu verändern. Natürlich stimme ich grundsätzlich zu, dass jeder von uns sein Konsumverhalten immer wieder sehr bewusst reflektieren und gegebenenfalls anpassen sollte, aber ich halte das Argument, dass die Verantwortung für einen Wandel zum Positiven bei den Konsumenten liegt, für falsch und sogar gefährlich, weil es die Unternehmen im Grunde aus ihrer moralischen Verantwortung entlässt. Wenn es eine Nachfrage gibt, so die Logik, dann darf sie auch befriedigt werden und der Konsument wird in die Verantwortung genommen, bitteschön etwas daran zu ändern, wie und was er konsumiert.

Aber eins nach dem anderen. Bevor ich im Detail auf diese Argumentation eingehe und versuchen werde, den ihr zugrunde liegenden Fehler zu erklären, möchte ich kurz über mich selbst reflektieren. Warum hat mich diese Argumentation emotional so berührt? Was war der Auslöser dafür, dass ich mich auf eine so hitzige Diskussion eingelassen habe?

Wenn ich darüber nachdenke, kommen mir zwei ganz ähnlich gelagerte Fehlannahmen in den Sinn: zum einen Margaret Thatcher und Ronald Reagan und zum anderen der „Hühnerkäfig der Armut“ aus dem Roman „Der weiße Tiger“* von Aravind Adiga. Neoliberale wie Thatcher und Reagan wollen den Bock zum Gärtner machen. Sie behaupten, dass der Staat mit seinen vielen Regulierungen und Sozialleistungen dem Gemeinwohl ebenso im Wege steht wie die Gewerkschaften und dass es besser wäre, wenn der Markt völlig frei agieren könnte und sich dann alles wie von selbst zum Guten wenden würde. Der Begriff „Hühnerkäfig der Armut“ ist eine zentrale Metapher des oben erwähnten Romans über die indische Kastengesellschaft und steht für einen Käfig, der eigentlich keiner ist, denn das einzige, was die Hühner daran hindert, aus dem Käfig zu entkommen, sind die anderen Hühner, die sie immer wieder hineinziehen. Ich sehe in beiden eine Nähe zum Narrativ, dass der Verbraucher der Hauptverantwortliche für Veränderungen zum Besseren ist. Einerseits kann der Markt weiter unreguliert nach Profit streben, andererseits liegt die Verantwortung bei jedem Einzelnen von uns. Statt gemeinsam aus dem Käfig auszubrechen, zeigen wir mit dem Finger aufeinander und schieben uns oft aus einer überhöhten moralischen Position heraus gegenseitig die Schuld für die globalen Fehlentwicklungen zu. Beides halte ich für grundlegend falsch und es triggert bei mir eine emotionale Reaktion.

Ok, nachdem ich meine doch etwas emotionale Reaktion für mich reflektiert habe, möchte ich den Mechanismus, der dem heutigen Konsumverhalten maßgeblich zugrunde liegt, etwas genauer beleuchten. Der wohl wichtigste Treiber für die Entwicklung des Konsumverhaltens der Menschen in der westlichen Welt seit Ende des 2. Weltkrieges ist die Marge, die ein Unternehmen mit seinen Produkten erzielt. Und genau diese Marge macht die Unternehmen mit den schlechtesten Produkten zu den erfolgreichsten und verschafft ihnen einen Vorteil gegenüber uns Konsumenten, gegen den wir als Einzelne nicht ankommen.

Wie komme ich zu dieser Annahme? Ich bin darauf gestoßen, als ich einen kostenlosen E-Commerce-Ratgeber („ECOM SECRETS“) gelesen habe. Ich hatte wirklich einen Aha-Effekt. Und das bei einem so unscheinbaren Thema wie der Marge von Online-Shops.

In dem Ratgeber steht Folgendes: „Bezahltes Marketing, also bezahlte Werbung über Google, Facebook oder Influencer, kostet Geld – wie der Name schon sagt.“ Ein Online-Shop braucht eine entsprechend hohe Marge, die der Betreiber dann zum Teil in Marketing investieren kann. (…) Für eine gute Marge brauchst Du gute Zahlen. Das heißt, das Verhältnis von Einkaufspreis zu Verkaufspreis sollte – als Daumenregel – mindestens 3 zu 1, besser 4 zu 1 oder 5 zu 1 sein.“

Das bedeutet: Je niedriger der Einkaufspreis eines Produktes ist, desto mehr kann ein Unternehmen für Marketing und andere verkaufsfördernde Aktivitäten ausgeben. Und da über einen längeren Zeitraum betrachtet gerade die Unternehmen erfolgreicher sind, die mehr in diese Aktivitäten investieren können als ihre Konkurrenten, setzt mit der Zeit ein verhängnisvoller Trend ein: Die durchschnittliche Qualität der angebotenen Produkte wird immer schlechter. Die Unternehmen mit den billigsten – und damit für den Verbraucher vermutlich schlechtesten – Produkten verdrängen die anderen immer mehr vom Markt. Dieser Prozess setzt sich kontinuierlich fort. Die Situation verschlechtert sich von Jahr zu Jahr mit zunehmender Geschwindigkeit.

Unternehmen versuchen also kontinuierlich, ihren Einkaufspreis zu senken, was sich leider direkt (negativ) auf die Qualität ihrer Produkte auswirkt, und gleichzeitig das Budget für Marketing und andere verkaufsfördernde Aktivitäten immer effizienter auszuschöpfen. Die größten Stellschrauben für Letzteres sind: Steigerung der Qualität des Marketings, Optimierung des Produktes insbesondere hinsichtlich der Wiederkaufsrate und natürlich Lobbyismus. Und genau in diesen Bereichen arbeitet seit Jahrzehnten ein Heer von Experten, deren Ziel es ist, die Psyche der Konsumenten zu hacken und sie in eine Art Abhängigkeit zu treiben.

Ein sehr schönes Beispiel für „Qualitätssteigerung im Marketing“ lieferte Philipp Morris Deutschland vor mehr als 10 Jahren mit seiner Kampagne „Don’t be a Maybe“ für die Zigarettenmarke Marlboro. Untersuchungen der Universität Hamburg haben ergeben, dass der Zigarettenkonzern seit Beginn der Kampagne mindestens 30.000 Jugendliche neu zum Zigarettenkonsum animiert hat. Die meisten davon vermutlich wiederkehrende Käufer, vielleicht ein Leben lang. Dadurch erzielte Philip Morris einen zusätzlichen Umsatz von mehr als sieben Millionen Euro pro Jahr. Die Kampagne wurde 2013 vom Landratsamt München bis auf Weiteres verboten. Sie verleite Jugendliche zum Rauchen und richte sich speziell an diese Gruppe der „Unentschlossenen“, hieß es. Doch Philip Morris klagte gegen den Freistaat Bayern – und gewann. 2016 folgte die ebenso erfolgreiche „You-decide“-Kampagne, gegen die von staatlicher Seite nichts mehr unternommen wurde.

Ich möchte nicht wissen, wie viele Arbeitsstunden von Werbefachleuten, Agenturen, Psychologen und Lobbyisten in diese Kampagne geflossen sind. Wie kann man sich als Angehöriger der Gruppe der „Unentschlossenen“ gegen diesen unangekündigten und minutiös geplanten Angriff wehren, den man wahrscheinlich nicht einmal bewusst wahrnimmt, weil alles über das Unterbewusstsein an einen herangetragen wird?

Ein schönes Beispiel für „kontinuierliche Produktoptimierung“ sind unsere heißgeliebten Chips, ein Lebensmittel, das unserer Gesundheit mehr schadet als nützt und dessen Absatz dennoch seit seiner Einführung kontinuierlich und stark steigt. Von Jahr zu Jahr haben immer mehr und immer besser ausgebildete Lebensmittelingenieure aller Fachrichtungen an ihrer „Optimierung“ gearbeitet. In ihren Meetings konzentrieren sie sich auf abstrakte Produkteigenschaften wie „Bliss Points“, „vanishing caloric density“ oder „Snackability-Faktor“. Eine ansprechende Farbe, Geruch und Haptik der Chips animieren zum häufigen Zugreifen. Im Mund entsteht ein intensives, knuspriges, aber nicht übersättigendes Mundgefühl. Leicht schmelzende Zutaten sorgen dafür, dass sich die Chips im Mund schnell zu einem Brei auflösen, der den Schluckreflex auslöst. Im Idealfall hat die Hand in der Zwischenzeit schon wieder in die Tüte gegriffen und die nächste Portion zum Mund geführt. Diese „Genusskette“ wird von den Food-Designern Jahr für Jahr genau unter die Lupe genommen, immer auf der Suche nach den kleinsten Stellschrauben, die ihre Effizienz erhöhen. Auch gegen diesen Angriff, der schon vor dem Fernseher in Form von Werbung beginnt und im Supermarkt seine entscheidende Phase erreicht, kann Homo sapiens mit seiner angeborenen Neigung zu Fett, Salz und Zucker nichts mehr ausrichten.

Ich könnte jetzt ein ganzes Buch mit Beispielen für diesen ungleichen Kampf zwischen Konzernen und Konsumenten schreiben, aber ich denke, es ist klar, worauf ich hinaus will:

Wir sind einem permanenten und wirklich auf allen Ebenen unseres Lebens ausgetragenen Angriff von Wirtschaftsakteuren ausgesetzt, die nicht unser Bestes wollen, im Gegenteil: Aufgrund der Logik des Profits setzen sich immer mehr diejenigen durch, deren Produkte für uns am schlechtesten sind, weil sie schlicht und einfach die billigsten sind. Sie warten mit einem Heer von Spezialisten auf, die unsere Psyche hacken und uns zu berechenbaren Abnehmern ihres Mülls machen.

Vor diesem Hintergrund zu behaupten, es liege allein in der Verantwortung des Verbrauchers, durch sein Konsumverhalten etwas zum Positiven zu verändern, ist aus meiner Sicht blanker Hohn. Vielmehr müsste der Staat gegen die Wirtschaftsakteure vorgehen und Verbote aussprechen, die einer weiteren Volksvergiftung wirksam entgegenwirken.

bookmark_borderÜber UNTERNEHMENSWESEN

Wenn man über die wachsende Macht und den Einfluss der Wirtschaft und der Finanzwelt auf unsere Gesellschaft nachdenkt, kommen einem oft die neuen digitalen Plattformen aus dem Silicon Valley in den Sinn, die sich rühmen, die ganze Welt zu „disrupten“, aber leider nur dafür sorgen, dass die Masse der Menschen in einer Informationsflut ertrinkt. Oder man denkt an die Automobilindustrie oder die Tabak- und Lebensmittelindustrie, die einen ebenso großen und schlechten Einfluss auf unser gesellschaftliches Zusammenleben haben und keine Kosten und Mühen scheuen, um ihre Interessen durchzusetzen.

Dann fragt man sich: Wie können die Menschen, die für diese Unternehmen arbeiten, solche Entscheidungen treffen und mit ihrem Gewissen vereinbaren? Die Antwort ist ebenso einfach wie überraschend: Diese Menschen treffen keine Entscheidungen, zumindest nicht mehr, als eine Zelle meines Körpers bei meinen Entscheidungen mitzureden hat. Diese Entscheidungen werden von den Unternehmen selbst getroffen, denen es – von uns weitgehend unbemerkt – gelungen ist, eine dominante Rolle auf unserem Planeten einzunehmen, die immer weniger Berührungspunkte mit unserer menschlichen Gesellschaft hat.

Willkommen im Zeitalter der Unternehmenskontrolle, das am besten mit einer Invasion von Außerirdischen verglichen werden kann, die unbemerkt unter uns leben. Unternehmen haben sich zu mächtigen Akteuren entwickelt, die die gesellschaftliche Entwicklung auf globaler Ebene maßgeblich beeinflussen. Sie sind real existierende Wesen, genauer gesagt Bienenstock-Organismen mit künstlicher Intelligenz (KI). Viele denken bei KI an komplexe Algorithmen wie ChatGPT oder an autonome Roboter, die eines Tages den Menschen überflügeln könnten. Doch es ist die „unternehmensförmige“ KI, die vermutlich viel gefährlicher ist als die genannten Technologien.

Unternehmen sind keine Menschen, und doch haben sie – als juristische Personen – viele der gleichen Rechte: Sie können Vermögen aufbauen, Rechtsgeschäfte abschließen, wirtschaftliche und ethische Entscheidungen treffen. Ihr Verhalten gleicht einer autonom und global agierenden Intelligenz – einer Intelligenz, die keinen menschlichen Körper benötigt, um ihre Ziele – vor allem Wachstum und Rentabilität – zu verfolgen. Unternehmen benutzen Menschen und Maschinen – und seit Kurzem natürlich auch andere Formen von künstlicher Intelligenz – als ihre Sensoren und Effektoren oder, bildlich gesprochen, als ihre Nerven und Muskeln.

Sie können umstrukturiert, umbenannt oder fusioniert werden, aber das Prinzip „Unternehmen“ lebt weiter, solange seine wirtschaftlichen Ziele verfolgt werden. Aufgrund dieser Eigenschaften bietet sich auch ein Vergleich mit einem anderen faszinierenden Lebewesen an, dem Schleimpilz. Dieser Einzeller besitzt weder ein Gehirn noch ein zentrales Nervensystem und ist dennoch in der Lage, komplexe Probleme zu lösen. Der Schleimpilz kann den kürzesten Weg durch ein Labyrinth finden, sich erinnern, auf frühere Erfahrungen reagieren und sogar gelernte Informationen mit anderen Schleimpilzen teilen. Diese Fähigkeiten zeigen, dass Intelligenz nicht unbedingt an ein zentrales Steuerungsorgan gebunden sein muss.

Wie der Schleimpilz bilden auch Unternehmen weit verzweigte Netzwerke, die flexibel auf äußere Einflüsse reagieren und sich ständig neu organisieren, um ihre Ressourcen zu maximieren. Neuere Studien von Glattfelder, Vitali und Battiston* zeigen, dass die Eigentumsverhältnisse transnationaler Konzerne extrem vernetzt und konzentriert sind. Es wurde untersucht, wie umfangreich die wechselseitige Überschneidung von Eigentümerschaft, also wie dicht das Netzwerk der Kapitalkontrolle bei transnational aufgestellten Unternehmen tatsächlich ist. Demnach bilden nur 147 Unternehmen das „Rückgrat“ der Weltwirtschaft. Diese Unternehmen kontrollieren zusammen 40 % des transnationalen Kapitals. Diese starke wechselseitige Eigentümerschaft bezeichnen die Forscher als eine Art „Super-Identität“. Ein erweitertes, etwas weniger dichtes Netzwerk von 737 Unternehmen kontrolliert sogar 80 % des globalen Kapitals.

Diese „Unternehmenswesen“ verfolgen Interessen, die oft in direktem Widerspruch zu den Bedürfnissen von Mensch und Natur stehen. Denn im Gegensatz zu Menschen fehlt es Unternehmen an Empathie und moralischer Verantwortung. Die Prioritäten von Unternehmen sind nicht menschlich – sie drehen sich ausschließlich um Profit und Überleben. Unternehmen handeln ohne Empathie – sie kennen weder Mitleid noch langfristige Verantwortung für die Umwelt. Ihr Ziel ist Wachstum um jeden Preis, auch wenn es auf Kosten der Natur oder der Gesellschaft geht. Die zerstörerischen Folgen sind überall sichtbar: Klimawandel, Ressourcenerschöpfung, soziale Ungerechtigkeit.

Wir haben unsere Zukunft in die Hände nicht-menschlicher, global existierender Akteure gelegt – Akteure, die weder unser Wohlbefinden noch das Überleben des Planeten im Blick haben. Konzerne sind die wahre künstliche Intelligenz, die bereits heute unsere Gesellschaft durchdrungen hat. Sie handeln autonom, ohne Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse oder ethische Grundsätze, und steuern damit die Welt, in der wir leben.

Die Gefahr besteht darin, dass wir Menschen zunehmend in den Hintergrund gedrängt werden. Unsere Entscheidungen, unsere Werte und unser Wohl werden den Interessen der Unternehmen untergeordnet. Um diesen Trend umzukehren, müssen wir uns der Frage stellen: Wie können wir die Kontrolle über unsere Zukunft zurückgewinnen? Es ist an der Zeit, die Macht der Unternehmen zu begrenzen und die Menschlichkeit wieder ins Zentrum unserer Gesellschaft zu rücken – bevor es zu spät ist.

* Vitali u.a. „The Network of Global Corporate Control“ & Vitali u.a. „The Network of Global Capital Control“

bookmark_borderÜber TRUMP und TRENNUNG

Es ist schon wieder passiert. Donald Trump wird zum zweiten Mal Präsident der Vereinigten Staaten, und das trotz seines Aufrufs zum Sturm auf das Kapitol sowie diverser Amtsenthebungs- und Gerichtsverfahren gegen ihn. Ich habe eine Woche gebraucht, um diese Nachricht zu verdauen.

Ich konnte erst gar keine Nachrichten mehr sehen, weil ich Angst hatte, ihn oder seinen noch unsympathischeren Vizepräsidenten im Siegesrausch zu sehen. Rein menschlich finde ich diese beiden Gestalten und noch viele andere, die sich in diesem Umfeld aufhalten, wie z. B. die beiden Trump-Söhne Eric und Donald Jr., den größenwahnsinnigen Elon Musk oder den fiesen rechten Strippenzieher im Hintergrund Roger Stone – um nur einige zu nennen – einfach unerträglich. Ich verabscheue sie regelrecht und kann nicht verstehen, wie man für sie Sympathien hegen, geschweige denn sie in die wichtigsten Machtpositionen der Welt wählen kann. Es ist und bleibt mir völlig unverständlich.

Aber nach einer Woche Digital Detox habe ich die ersten Kommentare von Leuten gelesen, von denen ich glaube, dass sie eine ähnliche Abneigung haben und genauso schockiert sein müssen wie ich. Und langsam beruhige ich mich, denn sie haben eine wirklich gute Erklärung für das aus demokratischer Sicht desaströse Wahlergebnis. Sie sagen, dass die meisten Trump gewählt haben, um das ganze System zu Fall zu bringen. Die meisten Trump-Wähler sind auch keine glühenden Fans von Trump und seinen Gefolgsleuten, aber sie sehen in ihm eine Art Abrissbirne. Donald Trump – und auf der anderen (helleren) Seite – Bernie Sanders sind vor allem deshalb so erfolgreiche Präsidentschaftskandidaten, weil sie eben keine Berufspolitiker sind, die so tief in den politischen Betrieb verstrickt sind, dass sie am Ende keine eigenen Entscheidungen mehr treffen können und eigentlich nur noch Marionetten der großen Lobbyisten sind. Von solchen Politikern ist einfach keine wirkliche Veränderung mehr zu erwarten. Ähnlich wie Angela Merkel bei uns in Deutschland, die mit ihrer „Merkel-Raute“ einfach alles aussaß und immer wieder neue Abwrackprämien und andere Geschenke an die Wirtschaft verteilt hat, ohne wirkliche Veränderungen durchzusetzen, hängt die Demokratische Partei in den USA an den gleichen Trögen der Wirtschaft, die auch die Republikaner füttern. Beide sorgen dafür, dass die großen Konzerne und alle, die von ihnen profitieren, immer reicher und mächtiger werden, während die Arbeitnehmer, von denen ohnehin nur ein sehr kleiner Bruchteil gewerkschaftlich organisiert ist, vom Wachstum nichts abbekommen. Während eine kleine Elite immer reicher wird, geht die große Mehrheit leer aus und lebt ohne Sicherheiten von der Hand in den Mund. Mit dieser Ungerechtigkeit will die große Mehrheit nun Schluss machen, notfalls mit Gewalt in Form einer Abrissbirne.

Und damit kann ich mich wieder anfreunden. Es hilft mir, meinen Schock über die Wiederwahl Trumps zu überwinden, weil ich die Motivation und die Beweggründe, die hinter dieser Wahlentscheidung der amerikanischen Bevölkerung stehen, durchaus nachvollziehen kann und sogar damit sympathisiere. Denn nichts anderes beschäftigt mich seit Jahren. Ich teile die Sorge um die Spaltung der Gesellschaft in einen winzigen Teil, der alles hat, und eine überwältigende Mehrheit, die nichts mehr hat. Und damit meine ich persönliche Rechte und Freiheiten, wirtschaftliche und politische Macht und natürlich Sicherheit und Vermögen.

Die Wahl von Trump ist ein Bild dafür, dass die Trennung der Gesellschaft nun endgültig nicht mehr tragbar ist. Sie ist der erste spürbare Wind einer gewaltsamen Revolution, die sich in dunklen Wolken am Horizont ankündigt. Wenn wir nicht auf dieses deutliche Zeichen hören, wird der Sturm der Revolution alles mit sich reißen, denn so kann es nicht weitergehen. Trump, der jetzt die Mehrheit in allen Kammern und sogar den Supreme Court in der Tasche hat, wird dafür sorgen, dass es kein Zurück mehr gibt. Im Gegenteil, er wird dafür sorgen, dass uns alles noch schneller um die Ohren fliegt, indem er der Wirtschaft nun endgültig alles erlaubt. Damit wird er seiner Rolle als Abrissbirne gerecht. Er ist sozusagen ein Katalysator, ein Brandbeschleuniger, der dem eigentlichen Ziel dient, das ganze System zum Einsturz zu bringen.

Ein Wandel durch Vernunft und Moral, für den Kamala Harris mit ihrer Kampagne stand, erschien der amerikanischen Bevölkerung nicht mehr wahrscheinlich. Zu lange hatte sie zugesehen, wie die Politik der Wirtschaft aus der Hand fraß und sich immer mehr in deren Dienst stellte. Die Wahl Trumps war eine Bauchentscheidung, die der Erkenntnis folgte, dass manches nur mit einem Knall enden kann, nicht aber mit einem gesellschaftlichen Dialog, bei dem ein immer größerer Teil der Bevölkerung ohnehin nicht mehr gehört wurde.

Es ist Zeit für einen echten Wandel. Auch hier in Deutschland. Als Politiker – oder besser als angehender Politiker – hat man jetzt eine echte Chance. Zum einen zeigt das Beispiel Trump, dass man gerade als Quereinsteiger heute gute Chancen hat, gewählt zu werden. Zum anderen hat Trump gezeigt, dass die Rolle der schimpfenden Abrissbirne heute durchaus gefragt ist. Nichts anderes macht schließlich den Erfolg der AfP in Deutschland aus.

Nun wäre es natürlich schön, wenn nicht überall auf der Welt Menschen vom Schlage eines Donald Trump politisch aktiv würden, sondern natürlich vor allem Menschen, die der Gesellschaft wirklich helfen wollen. Die sollten jetzt eine ganz einfach zu verstehende Agenda aufschreiben und diese in Trump-Manier dem politischen Betrieb in Berlin um die Ohren hauen. Die Themen sind klar: 1. gerechte Verteilung des Wohlstands in der Bevölkerung, 2. Entmachtung der großen internationalen Konzerne und Finanzdienstleister und 3. nachhaltiger und sofortiger Schutz der Umwelt. In diesen Punkten steckt so viel Potenzial, Menschen zu beschäftigen und echte Innovationen voranzutreiben, dass es eigentlich nur logisch ist, solche großen Veränderungen jetzt sofort anzugehen.

Zum Beispiel könnte man Autos per Gesetz komplett aus den Städten verbannen. Dann müsste die deutsche Automobilindustrie neue Mobilitätskonzepte und Fahrzeuge speziell für die Stadt entwickeln. Die freien Flächen könnten dann mit Bäumen bepflanzt oder für soziale Aktivitäten genutzt werden. Die Menschen würden endlich wieder frische Luft atmen und die Städte wären im Sommer deutlich kühler. Würde dies flächendeckend umgesetzt, wäre Deutschland wieder ein echter Innovationsmotor, der seine neuen Ideen gewinnbringend in die Welt exportieren könnte.

Natürlich klingt das jetzt wieder utopisch, aber die „Alternative für Deutschland“ ist leider nur ein deutscher Donald Trump und ein lauter Knall. Und das hat es ja alles schon einmal gegeben.

bookmark_borderÜber UNGLEICHHEIT AUF KNOPFDRUCK

Seit meinem letzten Beitrag über den ‚Gott Geld‘ und seine weitreichenden Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat mich dieses Thema nicht mehr losgelassen. Irgendwo hinter dem Schleier des Geldes liegt für mich eine wesentliche Ursache für die Schieflage oder besser den Teufelskreis, in den wir als Menschheit geraten sind und in den wir den Rest der Welt mit hineinziehen. Geld entmenschlicht unser Handeln. Unser Zusammenleben wird „finanzialisiert“. Alles, was wir tun, geschieht nur noch unter der Prämisse maximaler Rentabilität.

Deshalb habe ich mich in den letzten Monaten noch einmal intensiv mit den verschiedenen Facetten des Geldsystems auseinandergesetzt und bin dabei auf etwas ebenso Interessantes wie Beängstigendes gestoßen.

Zunächst bietet eine Geldwirtschaft natürlich zahlreiche und oft zitierte Vorteile für unsere Gesellschaft wie Tauscheffizienz, Wertaufbewahrungsfunktion oder Innovationsförderung. Als universelle Maßeinheit erleichtert Geld die Bewertung und den Vergleich verschiedener Güter und Dienstleistungen und fördert damit die Entwicklung spezialisierter Berufe und Fähigkeiten, da es den reibungslosen und schnellen Austausch dieser Leistungen und Produkte überhaupt erst ermöglicht. Die Möglichkeit, Kapital zu sparen und zu investieren, aber auch die Möglichkeit, für ein Projekt einen Kredit aufzunehmen, fördert Innovation und technologischen Fortschritt. Diese Aspekte – um nur einige zu nennen – haben zweifellos wesentlich zu unserem heutigen Wohlstand und unserer gesamtgesellschaftlichen Produktivität beigetragen.

Und dann bin ich bei meinen Recherchen auf ein Phänomen gestoßen, das mich zutiefst beunruhigt und das möglicherweise der Kern vieler Probleme unseres Wirtschaftssystems ist. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff „Keystroke-Kapitalismus“ bekannt, der die moderne Praxis beschreibt, Geld digital zu erzeugen – oft durch nichts weiter als das Drücken einer Taste auf einer Tastatur.

Natürlich sind die großen Probleme, mit denen wir heute zu tun haben, immer multikausal, aber dieser eine Sachverhalt scheint dem Ganzen zugrunde zu liegen und die Probleme immer weiter zu verschärfen. Es handelt sich, bildlich gesprochen, um eine Anomalie im Maschinenraum des Kapitalismus. Diese Anomalie hängt eng mit dem Privileg der Geldschöpfung zusammen und wirkt sich direkt auf die verfügbare Geldmenge und deren Verteilung aus.

Ursprünglich basierte unser Finanzsystem auf realen Werten wie Gold und Silber. Diese Edelmetalle bildeten jahrhundertelang das Fundament der Wirtschaft. Im Mittelalter begann sich dieses System zu verändern, als Kaufleute und Bankiers zunehmend auf Bankschulden und Buchgeld zurückgriffen. Statt Gold physisch zu transferieren, veränderten die Banken die Kontostände ihrer Kunden durch einfache Buchungsvorgänge. Diese Form des Geldes, die nur als Zahl in den Bankbüchern existierte, setzte sich aufgrund ihrer Effizienz und Praktikabilität rasch durch.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Bankensystem weiter und das Vertrauen in das Buchgeld wuchs. Dieses Vertrauen war jedoch nicht unerschütterlich, und es kam immer wieder zu Bankenkrisen und „Bank Runs“, bei denen viele Menschen gleichzeitig versuchten, ihre Einlagen abzuheben. Um die Instabilität zu begrenzen, wurde das Bankensystem schließlich durch die Einführung von (staatlichen) Zentralbanken ergänzt, die als Hüter der (materiellen) Reserven fungierten und so eine neue Vertrauensebene schaffen sollten. Die Zentralbanken hielten Gold und andere Reserven, während die Geschäftsbanken und ihre Kunden nur (fraktionale) Ansprüche in Form von Buchgeld auf diese Reserven hatten.

Dieses System erreichte seinen Höhepunkt im Bretton-Woods-Abkommen nach dem Zweiten Weltkrieg, das den US-Dollar zur Leitwährung der westlichen Welt erklärte und eine (teilweise) Golddeckung des Dollars vorschrieb. 1973 wurde die Goldbindung des Dollars dann endgültig aufgehoben. Seither existieren die Reserven nur noch als buchhalterische Einträge ohne materiellen Wert und es entstand unser heutiges Fiat-Geldsystem, in dem Geld nur noch durch staatliche Autorität gedeckt ist.

So weit, so gut. Wir haben also den Finanzmarkt durch unsere demokratischen Mitbestimmungsrechte unter Kontrolle, oder? Die Antwort lautet: Leider nicht.

Im heutigen Finanzsystem sind nämlich die Privat- und Geschäftsbanken die eigentlichen proaktiven Akteure, die über die Kreditvergabe den Hauptteil der Geldschöpfung übernehmen und somit indirekt auch über dessen Verteilung bestimmen (dazu aber in einem späteren Beitrag noch mehr). Entgegen dem traditionellen Bild, dass Banken nur vorhandenes Kapital verleihen, haben sie sich längst vom Kapitaleigentum emanzipiert. Stattdessen fungieren sie als die eigentlichen Initiatoren der Geldschöpfung, während die Zentralbanken eine reaktive Rolle einnehmen und die daraus resultierende Nachfrage nach Zentralbankgeld zuverlässig befriedigen.

Der zugrundeliegende Prozess ist denkbar einfach und zugleich von großer Tragweite: Wenn eine Privat- oder Geschäftsbank einem Kunden einen Kredit gewährt, wird das Geld nicht aus vorhandenen Einlagen entnommen. Es entsteht vielmehr in dem Moment, in dem die Bank den Betrag auf das Konto des Kreditnehmers gutschreibt. Dies geschieht buchstäblich per Knopfdruck oder „Keystroke“ – daher der Begriff. Das neue Geld entsteht in Form von Giralgeld, also digitalem Geld, ohne dass dafür physisches Bargeld oder zuvor angesammelte Ersparnisse benötigt werden. Damit ist die Geldschöpfung de facto privatisiert.

Dabei spielt natürlich das Verhältnis zwischen Geschäftsbanken und Zentralbanken eine entscheidende Rolle. Zentralbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) oder die Federal Reserve steuern den Geldmarkt – zumindest in der Theorie – unter anderem durch Mindestreserveanforderungen an die Geschäftsbanken. In der Praxis stellen die Mindestreserveanforderungen jedoch keine direkte Beschränkung oder Obergrenze für die Kreditvergabe der Geschäftsbanken dar. Die Aufgabe der Zentralbanken ist es, das gesamte Finanzsystem zu stabilisieren, weshalb sie die neuen Kreditvolumina den Geschäftsbanken, die in Vorleistung treten, immer auch retrospektiv verlässlich gewähren.

Im heutigen „Keystroke-Kapitalismus“ haben wir es mit einem Finanzsystem zu tun, in dem die Geschäftsbanken die aktive Rolle der Geldschöpfung übernehmen. Die Produktionskosten für Privat- und Geschäftsbanken für neues Geld sind dabei gleich null – oder anders formuliert: Der Bock ist zum Gärtner gemacht worden.

Welche Konsequenzen diese Art des Kapitalismus für unsere Gesellschaft und den Umgang mit unserer Umwelt hat, möchte ich in den nächsten Beiträgen genauer beleuchten.

Anmerkung: Um den Beitrag verständlich zu halten und nicht zu sehr ins Detail gehen zu müssen, habe ich versucht, nur die wesentlichen Aspekte des Keystroke-Kapitalismus zu beschreiben. Ich empfehle jedoch jedem, der sich näher mit dem Phänomen beschäftigen möchte, den folgenden Fachbeitrag von Prof. Dr. Aaron Sahr zu lesen.

Aaron Sahr: Keystroke-Kapitalismus – Ungleichheit auf Knopfdruck

Und hier noch etwas Food for Thought von Bernie Sanders:

bookmark_borderÜber den GOTT GELD

Unglaublich, aber mein letzter Blogeintrag ist schon wieder sieben Monate her. Inzwischen ist im Pulverfass Naher Osten ein weiterer Krieg ausgebrochen, in den sich die USA und Großbritannien leider bereits aktiv eingemischt haben. Und Donald Trump wird trotz seines gescheiterten Putsches vom 6. Januar 2021 und einer Welle von Klagen gegen ihn höchstwahrscheinlich der Präsidentschaftskandidat der Republikaner bei den diesjährigen Wahlen sein. Insofern sehe ich mich leider in meiner Feststellung aus dem vorigen Beitrag bestätigt, dass die Zahl und das Ausmaß der globalen Fehlentwicklungen exponentiell zunehmen.

Was mich besonders schockiert, sind die offenen und lang andauernden Kriege, die mit der Zeit zu einer Art selbstverständlichem Hintergrundrauschen geworden sind. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine macht mich besonders betroffen. Nicht nur, weil er in Europa stattfindet, sondern weil mich das eiskalte strategische Kalkül Wladimir Putins fassungslos macht. Er sieht Schwächen in der europäischen Gemeinschaft und eine sich abzeichnende Verschiebung des globalen Machtgefüges weg von den USA hin zu China und nutzt diese Situation sofort mit größter Brutalität und Skrupellosigkeit aus. Dabei schreckt er nicht davor zurück, den Hunger in den Ländern der Dritten Welt als Druckmittel einzusetzen und die eigene Bevölkerung an der Front durch den Fleischwolf zu drehen.

Eine Lösung des Konflikts scheint leider nicht in Sicht. Das ukrainische Volk wird wohl kaum seine in den letzten Jahren gewonnene Freiheit aufgeben und sich wie Weißrussland als Vasallenstaat Russlands in sein Schicksal ergeben, und Wladimir Putin wird wohl erst zu Verhandlungen bereit sein, wenn er zumindest die 2022 annektierten Gebiete vollständig unter seine Kontrolle gebracht hat. Wie man jetzt schon sehen kann, werden diese Gebiete dann völlig verwüstet und vermint und alle Städte in diesen Gebieten absolut unbewohnbar sein.

Ich persönlich sehe aber schon eine Chance für einen vorzeitigen Waffenstillstand. Ich könnte mir nämlich folgendes Szenario vorstellen: Russland und die Ukraine ziehen sich vollständig aus den annektierten Gebieten zurück. Die Gebiete gehören zwar offiziell noch zur Ukraine, aber es gibt ein gemeinsames Abkommen, dass sie nicht mehr von Menschen besiedelt werden. Sie werden zu einem Naturschutzgebiet erklärt und sich selbst überlassen. In kürzester Zeit würde hier ein für die Wissenschaft hochinteressanter Prozess einsetzen, wenn sich die Natur diese Gebiete zurückerobert. Für die Ukraine bietet sich mittelfristig die einmalige Chance, ein in Europa einzigartiges Naturschutzgebiet zu schaffen, das sanften Tourismus ins Land bringt. Man könnte in diesen Gebieten regelrechte Safaris anbieten, bei denen man die europäische (Mega-)Fauna wie Braunbären, Wölfe, Elche und Wisente bestaunen kann. Die Renaturierung der Landschaft überlässt man den Profis, wie z. B. den Bibern, die hier endlich ihrem natürlichen Gestaltungstrieb freien Lauf lassen könnten. Und das alles vor einer Tschernobyl-ähnlichen Kulisse. Da würde ich sofort eine Tour buchen. Und für Wladimir Putin wäre es zumindest ein Teilerfolg, schließlich hat er eine Pufferzone zu Russland geschaffen, die sich militärstrategisch recht gut absichern ließe.

Doch leider wird mir schon beim Schreiben dieser Zeilen klar, dass eine solche gemeinwohl- und umweltorientierte Einigung wohl sehr unwahrscheinlich ist. Wie bei allen anderen menschengemachten Fehlentwicklungen, wie dem inzwischen vor der eigenen Haustür spürbaren Klimawandel, dem rasant zunehmenden Artensterben, der um sich greifenden Umweltzerstörung und -verschmutzung oder allen Fragen sozialer Ungleichheit, scheint die Menschheit einfach keine Antworten auf derart große Probleme finden zu können.

Können wir also gar nichts mehr tun oder gibt es vielleicht doch noch eine Möglichkeit, gegen diese vielfältigen Fehlentwicklungen anzukämpfen? Ein letztes Aufbegehren wäre vielleicht noch einmal der Versuch einer Ursachenforschung. Was ist die treibende Kraft hinter all diesen Entwicklungen, die im vorigen Beitrag beschrieben wurden und die unser sicheres Ende bedeuten? Gibt es die eine Ursache, die all dem zugrunde liegt? Die eine Ursache, die es zu beseitigen gilt, um vielleicht doch noch eine Chance zu haben?

Ich habe den Verdacht, dass unser geliebtes Geld diese Ursache ist und dass es, je mehr Menschen ihr Leben danach ausrichten, wie eine Art Brandbeschleuniger für all unsere Probleme wirkt.

Geld ist unsere Religion geworden. Wir alle glauben an Geld. Wir glauben an den Wert eines Geldscheins und an das Guthaben auf unserem Paypal-Konto. Aber wie kann es sein, dass wir alle einer Religion angehören, ohne es zu wissen? Wir wurden weder gefragt noch getauft, und doch sind wir alle gläubige Anhänger dieser Religion und vollziehen täglich ihre Rituale.

Der Grund dafür liegt in den wirklich eigenartigen Eigenschaften des Geldes. Im Grunde hat es nur eine einzige Eigenschaft: Es ist zählbar. Aber interessanterweise gehorcht es auch einer Art Schwerkraft und es ist extrem technikaffin.

Die Zählbarkeit des Geldes vereinfacht unser soziales Miteinander in einer immer komplexer werdenden Welt. Wo früher in kleinen Gruppen und Gemeinschaften auf Währungen wie Ehre und Verlässlichkeit gesetzt wurde, füllt heute das Geld diese Lücke. Früher musste man sich sozial korrekt verhalten, sonst drohte der Ausschluss aus der Gemeinschaft, was in der damaligen Zeit mitunter einem Todesurteil gleichkam. Man musste also möglichst viel von dieser Währung anhäufen, damit man sich auch mal einen Fehltritt erlauben konnte, ohne dass der Kontostand gleich ins Minus rutschte, was, wie gesagt, verheerende Folgen gehabt hätte.

Heute haben sich solche sozialen Strukturen fast vollständig aufgelöst und sind einer internationalen, voll digitalisierten Bienenstockstruktur gewichen, in der jeder nur noch an sein persönliches Fortkommen in Form von Geldanhäufung denkt. Geld hat unsere alten Werte ersetzt und wird immer mehr zu unserem einzigen Wert. Und dieser Wert bestimmt immer mehr unseren eigenen Wert. Je höher der Kontostand eines Menschen, desto höher sein sozialer Rang. Mit anderen Worten: Man kann heute ein unfassbares Arschloch sein und trotzdem von allen (Followern) bewundert werden. Hauptsache, man ist reich. Das ist sogar fast die Grundvoraussetzung für Erfolg. Trump ist das beste Beispiel für diese totale Umkehrung unserer Werte.

Das eigentlich Interessante ist, dass Geld von Geld angezogen wird und sich zu immer größeren Klumpen zusammenballt, bis es sich schließlich gänzlich in den Händen einiger weniger befindet. Im Grunde ist es dasselbe Gesetz der Schwerkraft, das vor vier Milliarden Jahren aus frei schwebenden Materieteilchen erst größere Klumpen und schließlich die Erde entstehen ließ.

Diese Eigenschaft macht das Geld so ungeeignet für eine gleichmäßige und gerechte Verteilung des Wohlstands unter den Menschen. Es sorgt dafür, dass die wesentlichen Entscheidungen von einer absoluten Minderheit getroffen werden und selbst diese Menschen am Ende gar nicht die eigentlichen Entscheidungsträger sind, sondern das Geld selbst vorgibt, in welche Richtungen es investiert wird, nämlich in die mit der höchsten Rendite, sprich mit der höchsten Schwerkraft.

Dies geht Hand in Hand mit der Digitalisierung und Technologisierung unserer Gesellschaft. Wir verabschieden uns immer mehr von der realen Welt und werden Schritt für Schritt in die digitale Welt überführt (Stichwort „Screentime“), ob wir wollen oder nicht, denn Geld ist der Technologietreiber schlechthin. Geld ist immer auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten, die eine hohe Rendite versprechen. Da Technologie genau diese Einsparungs- und Optimierungspotenziale bietet und zudem wunderbar quantifizierbar ist, wird automatisch in die Weiterentwicklung von Technologien investiert. Mit der Folge, dass die Technologie immer weiter vorangetrieben wird, auch wenn es außer dem rein finanziellen keinen wirklichen Grund gibt, die Technologie weiter voranzutreiben.

Das ist z. B. auch der Grund, warum die Welle der künstlichen Intelligenz gerade mit voller Wucht über uns hereinbricht und wir de facto eine „Nachfolgespezies“ schaffen, ohne dass 99,99 % der Menschheit damit einverstanden sind, geschweige denn gefragt wurden. Die Entscheidungen werden im Silicon Valley vom Geld selber getroffen, der einzelne Mensch spielt dort schon lange keine maßgebliche Rolle mehr. Es ist das Geld, das diese Entscheidungen trifft und das eigentlich gar nicht existiert, außer in unserer Vorstellung, indem wir alle daran glauben. Wir haben uns einen Gott erschaffen, der uns nicht sieht.

Und da die Natur ein Gemeingut ist und keinen konkreten monetären Wert hat, bezieht das Geld sie nicht in seine Entscheidungen ein, sondern betreibt im Gegenteil Raubbau an ihr. Dasselbe gilt für soziale Werte, die aus der Sicht des Geldes nicht bezifferbar sind. Die Entscheidungen des Geldes gehen also per se immer zu Lasten der Umwelt und unseres Gemeinwohls, mit all den schlimmen Folgen, die uns heute plagen. Wir müssen daher dringend nach Formen des Zusammenlebens suchen, in denen Geld als Verteilungsmedium keine Rolle spielt. Wir müssen dringend nach Alternativen zum Geld suchen, bevor es silikonbasierte Alternativen zum Menschen finanziert und wir als wertloser Abfall auf der Müllhalde der Geschichte landen. Es ist an der Zeit, sich gegen diesen Gott aufzulehnen und sich von dieser Religion zu verabschieden.

bookmark_borderÜber den RAND DES EREIGNSISHORIZONTS

Mein letzter Eintrag ist vom Oktober 2021. Jetzt haben wir Juni 2023. Das heißt, ich habe mich hier 20 Monate nicht mehr zu Wort gemeldet. Das ärgert mich ein bisschen und ich finde es auch irgendwie schade. Andererseits ist in dieser Zeit auch so viel passiert, dass ich mich mehr auf andere Dinge konzentrieren musste und keine Muße mehr für meinen Blog gefunden habe.

Ich hatte sie schon in einigen meiner früheren Beiträge erwähnt: Exponentialkurven. Sie sind der Grund, warum ich mich jetzt wieder melde. Ich habe nämlich das starke Gefühl, dass wir alle sehr bald den Punkt auf dieser Kurve erreichen werden, den man Singularität nennt. 

Das beste Beispiel, um diesen Gedanken zu veranschaulichen, ist ein schwarzes Loch, das im Grunde eine real existierende Exponentialfunktion darstellt. Bis zu einem gewissen Punkt kann man in dieses „Loch“ hineinschauen. Aber ab einem bestimmten Punkt ist das nicht mehr möglich. Alles, was dahinterliegt, ist uns völlig unbekannt und wir werden es wahrscheinlich auch nie erfahren.

Wir Menschen haben es mit einer Reihe von exponentiellen Entwicklungen zu tun, die wir selbst verursacht haben und die wir immer wieder fälschlicherweise als „Krisen“ bezeichnen. Eine Krise ist streng genommen ein zeitlich begrenztes Ereignis, das den Ausnahmezustand eines ansonsten stabilen Zustandes beschreibt und mit der Rückkehr zum Ausgangszustand endet. 

Bildlich gesprochen ist eine Krise also eher wie eine Murmel in einer Schale, die in Bewegung geraten ist, aber irgendwann wieder zum Stillstand kommt, wenn man die Schale nicht mehr bewegt. Womit wir es aber zu tun haben, sind Murmeln, die aus einer Schale rausgekullert sind und nun immer schneller einen immer steileren Abhang hinunterrollen. Dieser ist so steil, dass man sein Ende nicht sehen kann. Und genau an diesem Ereignishorizont befinden sich die vielen selbstverschuldeten exponentiellen Fehlentwicklungen, mit denen wir Menschen zu tun haben. Einige haben diesen Punkt leider sogar bereits überschritten.

Betrachtet man diese Entwicklungen im Zeitverlauf, so stellt man fest, dass jede einzelne einen exponentiellen Verlauf aufweist und die Großereignisse in immer kürzeren Abständen auftreten.

Hier eine komplett unvollständige und von mir schnell und subjektiv zusammengestellte Chronologie der wichtigsten Fehlentwicklungen der letzten 30 Jahre:

1989: Globalisierung des Kapitalismus

Mit dem Fall der Mauer 1989 stand dem Kapitalismus endgültig nichts mehr im Wege und die Globalisierung beschleunigte sich noch einmal rasant. Mit der Folge, dass auch China einbezogen wurde und sich zu einem massiven Brandbeschleuniger entwickelte, der seitdem wiederum andere Drittweltländer und ganze Kontinente wie z. B. Afrika mit hineinzieht.

2001: Globalisierung der Gewalt

2001 haben die USA und ihre Verbündeten dann den „Krieg gegen den Terror“ begonnen und damit Gewalt und Hass in die Welt getragen. Allein dieser Begriff ist so absurd, dass er nur eine amerikanische Erfindung sein kann. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was besser ist: Krieg oder Terror. Ich tendiere sogar zum Terror, weil er weniger Tote und Kollateralschäden fordert. Aber egal. Jedenfalls wurde der ganzen Welt sehr deutlich vor Augen geführt, dass der Stärkere auch Gewalt anwenden darf, um den Schwächeren in die Schranken zu weisen und sich an ihm zu bereichern. 

2008: Globalisierung der Gier

Das nächste große Ereignis ereignete sich 2008 im Finanzsektor, als das gesamte Bankensystem aufgrund toxischer Finanzprodukte zusammenbrach und die Allgemeinheit den finanziellen Schaden zu tragen hatte. Einige wenige gierige und skrupellose Banker verbrannten die Ersparnisse von Millionen Menschen und machten sich aus dem Staub. Die Zeche zahlte der Staat und die Lehre, die einige daraus gezogen haben, war sicherlich, dass Tugenden wie Ehrlichkeit, Sparsamkeit und Verantwortungsbewusstsein eher hinderlich sind und man sich eine gewisse Skrupellosigkeit aneignen muss, um in dieser Welt vorwärtszukommen.

2016: Globalisierung der Desinformation

Als direkte Folge der sich immer weiter öffnenden Vermögensschere und der zunehmenden Erosion der Tugenden und des Zusammenhalts in der Bevölkerung kam es 2016 zur – zumindest von mir nicht für möglich gehaltenen – Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. Nun gab es nicht nur toxische Finanzprodukte, sondern auch eine toxische Politik der Spaltung. Nicht, dass die Vorgängerregierungen nicht auch viele moralisch höchst verwerfliche innen- und außenpolitische Entscheidungen getroffen hätten, was natürlich nicht nur für die USA, sondern auch für ihre westlichen Verbündeten gilt. Nein, der Unterschied war, dass dies nun in aller Öffentlichkeit geschah. Die Entwicklung der sozialen Medien hatte den Boden dafür bereitet, aber es bedurfte einer Person wie Donald Trump, um Lügen gesellschaftsfähig und sachliche Diskurse irrelevant zu machen. Von nun an konnte man machen, was man wollte. Jede Kritik konnte in tausenden Nebelkerzen alternativer Fakten erstickt werden. Natürlich haben sich andere Regierungsvertreter das abgeschaut, aber auch für die Masse der Bevölkerung blieb diese Art des Miteinanders nicht ohne Folgen und die vielen kleinen Risse werden immer größer.

2020: Globale Pandemie

Dann kam Corona. Der Ausbruch dieses Virus im Winter 2019/2020 war ausnahmsweise ein natürliches Ereignis, aber auch das muss man bei näherer Betrachtung relativieren. Wir wissen noch nicht genau, woher das Virus stammt, aber entweder ist es von einer anderen Tierart zu uns übergesprungen oder es stammt aus dem Labor. Auch wenn es von einer anderen Tierart stammt, sind wir nicht ganz unschuldig an der Pandemie, denn wir dringen immer weiter in die Natur vor und erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit von Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden. Diese globale Pandemie hat uns gezeigt, dass wir zwar mit medizinischen Entwicklungen und Maßnahmen reagieren können, dass es uns aber auch sehr schwerfällt, einheitlich und geschlossen zu handeln. Rückblickend hat das Virus die vielen Gräben in der Bevölkerung, aber auch zwischen ganzen Nationen, noch vertieft. 

Wir sind uns der Fragilität der globalen Lieferketten bewusst geworden, was zu einer Teilung der Welt in einen westlichen Teil um die USA und einen östlichen Teil um China geführt hat. Beide Nationen rasseln seither offen mit den Waffen und die Möglichkeit eines dritten Weltkrieges scheint leider sehr realistisch. 

2022: Krieg in Europa

Womit wir beim nächsten Großereignis wären: dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022. Ohne das oben beschriebene Szenario und die militärischen Drohgebärden zwischen China und den USA wäre es vielleicht nicht dazu gekommen, aber so hat sich China dazu entschlossen, seinen Kettenhund Russland diesen Angriff durchführen zu lassen. Natürlich erst nach den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking, bei denen Wladimir Putin noch brav an der Seite seines Herrchens saß. 

Es fällt mir immer noch schwer, die Realität dieses Krieges zu begreifen. Ein Krieg, der so gar nicht in Raum und Zeit passt. Mitten in Europa finden im Moment gnadenlose Schlachten mit Panzern und Schützengräben statt, die bereits Tausende von Toten gefordert haben und mich viel mehr an den Ersten oder Zweiten Weltkrieg erinnern als an einen hochmodernen High-Tech-Krieg, wie ich ihn vielleicht erwartet hätte. Es kommt mir so vor, als wäre Adolf Hitler in Gestalt von Wladimir Putin durch den Schleier der Vergangenheit wieder aufgetaucht. Die gleiche hanebüchene und krude Propaganda, das gleiche martialische Auftreten vor großen Truppenverbänden, der gleiche Wahn um eine einzelne Figur, die die Kontrolle über ihre Gedanken verloren hat und menschliches Leben für wertlos hält. 

2022: Entfesselung künstlicher Intelligenz

Als wäre das noch nicht genug, drückt am 30. November 2022 jemand im Silicon Valley auf die Eingabetaste seiner Tastatur und setzt eine künstliche Intelligenz namens ChatGPT frei. Andere Unternehmen wie Google haben nicht lange auf sich warten lassen und daraufhin ihre künstlichen Intelligenzen freigeschaltet. Aus ökonomischer Sicht war dies der einzig denkbare Schritt, da sonst das Überleben des Unternehmens gefährdet gewesen wäre. Mit anderen Worten: Nach dem Öffnen der Büchse der Pandora ist der Bock zum Gärtner geworden. 

Nun könnte man sagen, dass das alles gar nicht so schlimm ist und wir schließlich von der neuen Intelligenz auf diesem Planeten sehr profitieren könnten, aber das setzt ein paar ganz wesentliche Leitplanken voraus, die es leider nicht gibt. 

Es müsste starke, weltweit gültige Regeln geben, die dafür sorgen, dass mit der neuen künstlichen Intelligenz kein Missbrauch getrieben wird und die Gewinne der Allgemeinheit zugutekommen. Dies ist angesichts der derzeitigen weltpolitischen Lage leider nicht zu erwarten. Das heißt, sie wird den Kräften des Marktes ausgeliefert sein. Ein reines Wirken zum Wohle der Menschheit wäre – zumindest kurz- und mittelfristig, und in diesen Zeiträumen werden leider auch Geschäftsentscheidungen getroffen – ökonomisch nicht sinnvoll. Die Dominanz kapitalistischer Entscheidungen lässt dies einfach nicht zu. Und schließlich ist da noch die Unbekannte der künstlichen Intelligenz selbst. Wie wird sie sich in dieser Welt verhalten? Was sind ihre Ziele und Wünsche? Von alledem haben wir nicht die geringste Ahnung, und insofern ist die Gefahr, die von dieser neuen Intelligenz ausgeht, eher mit der der Atombombe zu vergleichen.

Dies sind nur einige der vielen Fehlentwicklungen der jüngeren Vergangenheit, und mindestens ebenso elementare, menschengemachte Katastrophen wie der Klimawandel oder das Artensterben spielen sich seit Jahrzehnten im Hintergrund ab, ohne dass wir bisher Maßnahmen dagegen ergreifen konnten. Auffällig ist, dass die Taktung der „Einschläge“ zunimmt. Würde man sie auf einer Zeitachse darstellen, könnte man die exponentielle Zunahme dieser Einschläge sehr gut veranschaulichen. 

Wir befinden uns aktuell also in einem perfekten Sturm, sehr nahe an einem Moment, der alles zum Kippen bringen wird und über dessen Ereignishorizont wir nicht hinausschauen können. Wir wissen einfach nicht, was uns danach erwartet. Und genau aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, meinen Blog wieder regelmäßig mit neuen Beiträgen zu aktualisieren. Ich möchte diese Zeit bewusst für mich reflektieren und aufarbeiten und immer wieder einzelne Themen herausgreifen, die meiner Meinung nach vor den größten Veränderungen stehen.

bookmark_borderÜber Crew-Mitglied Nr. 58.65x.7k5.201

Wieder sind vier Monate vergangen, bis ich mal wieder die Muße gefunden habe, einen neuen Eintrag zu verfassen. Ok, dann wollen wir mal:

Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2021. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Erde, das mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit, aber ohne Ziel durchs All rast (während die Erde nämlich mit über 100.000 km/h um die Sonne kreist, rotiert diese mit knapp 800.000 km/h um das Zentrum der Milchstraße, die wiederum zusammen mit ihren Nachbargalaxien selber mit 2,3 Millionen km/h im Universum unterwegs ist).

Die Crew dieses Raumschiffes besteht aus verschiedenen Spezies, die wiederum in Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen und Stämme untergliedert sind. Dabei sind die Grenzen auf diesen Ebenen fließend und es ist auch eher die Regel als die Ausnahme, dass viele Spezies sich dahingehend entwickelt haben, in oder auf den anderen Mitreisenden zu leben oder im Laufe der Reise einfach zu einer komplett neuen Spezies zu verschmelzen. Im Großen und Ganzen kommt die Crew gut miteinander aus. Natürlich gibt es immer mal wieder Reibereien und Animositäten, die dann dazu führen, dass einige Crew-Mitglieder aussterben, aber sie werden dann meist schnell durch neue, besser auf die jeweiligen Erfordernisse angepasste Spezialisten ersetzt.

Seit Kurzem gibt es aber ein Mitglied, das besonders negativ auffällt – Crew-Mitglied Nr. 58.65x.7k5.201 („Homo sapiens“). Eigentlich gibt es Ärger mit ihm, seitdem es auf dem Raumschiff aufgetaucht ist. Am Anfang war sein Verhalten noch recht unauffällig: Es hat nur seine direkten Cousins und Cousinen umgebracht. Das passiert ja in den besten Familien. Aber dann hat es Blut geleckt und ist mordend und plündernd durch das ganze Raumschiff gezogen. Auch das würde man ihm noch durchgehen lassen, wenn es nicht auch noch damit angefangen hätte, das komplette Raumschiff in eine riesige Müllhalde zu verwandeln und die Klimaanlage zu zerstören. Es gibt immer mehr Crew-Mitglieder, die diese physische und psychische Belastung nicht mehr aushalten und sich irgendwo verkriechen oder sogar aussterben. 58.65x.7k5.201 hat also ein Massensterben im Raumschiff zu verantworten, das seine eigene Existenz allerdings vermutlich genauso beenden wird wie die anderen. Aber auch das ist vollkommen in Ordnung, denn genau wie das Raumschiff kein Ziel hat, so gibt es auch für die Zusammenstellung der Crew keine festen Vorgaben. Free-Floating ist angesagt.

Ganz langsam wird 58.65x.7k5.201 aber bewusst, was es getan hat, und es sucht verzweifelt nach Möglichkeiten, wie es das von ihm ausgelöste Massensterben vielleicht doch noch überleben kann. Eines ist ihm dabei aber wichtig: Die Lösungen müssen angenehm und komfortabel sein und auf gar keinen Fall will es auf irgendwelche Annehmlichkeiten an Bord verzichten. Da es mit seinen geschickten Händen und seinem riesigen Hirn gerne Sachen baut, ist es für ihn vollkommen klar, dass es für die Lösung seines Problems irgendeinen Gegenstand anfertigen muss. Das macht eh Spaß.

Und während es an den verschiedensten Modellen herumschraubt und ganz nebenbei einen weiteren Teil der Crew aufschnappt und immer mehr Müll produziert, schaut es sich so um und denkt sich: „Ganz schön verdreckt hier!“ Was für eine Sauerei! Ein neues Raumschiff wäre eigentlich mal angebracht. Ok, 58.65x.7k5.201 ist dafür bekannt, dass es extrem crazy ist, aber der Gedanke, das Raumschiff zu verlassen und ein neues zu kapern, setzt dem Ganzen dann doch den Hut auf. Die anderen Crewmitglieder schweigen natürlich und hoffen insgeheim, dass 58.65x.7k5.201 seine Pläne in die Tat umsetzt, aber das wird niemals geschehen, denn dafür ist 58.65x.7k5.201 einfach zu zerbrechlich und der Raum zu groß.

Was 58.65x.7k5.201 nicht versteht oder verstehen will, ist die Tatsache, dass seine gesamte Existenz untrennbar mit dem Raumschiff verbunden ist. Es ist auf dem Raumschiff entstanden und wird sich auf dem Raumschiff auch wieder auflösen. Natürlich sind ein paar ganz kurze Außeneinsätze durchaus mal drin, aber mehr auch nicht. Wenn man ihm versucht, diese Wahrheit näherzubringen, dann reagiert es bockig. Es zieht sich in seine Werkstatt zurück und bastelt schnell an ein paar Sachen, um sich abzulenken. Hier auf dem Schiff zu bleiben würde ja bedeuten, auf die anderen Crewmitglieder zuzugehen, auf ihre Bedürfnisse und Wünsche einzugehen, das eigene Verhalten von Grund auf zu ändern und beim Aufräumen mit anzupacken. Not acceptable! Fake truth!

Aber im Grunde darf man auch nicht zu hart mit 58.65x.7k5.201 ins Gericht gehen. Es kann einfach nicht anders. Es ist genetisch dazu verdammt, irgendetwas mit seinen filigranen Greiferchen und seinem riesigen Hirnkasten zu machen. Von allen Lösungen für seine Probleme (und die seiner Mitreisenden) kann es nur einen winzigen Ausschnitt erkennen und der hat immer eine technische Komponente, für deren Realisierung natürliche Ressourcen transformiert werden müssen. Es ist ganz einfach blind für alle Lösungen, die mit einem „Weniger“ einhergehen, und kann auch keine Apparaturen anfertigen, die es in dieser Hinsicht sehend machen.

Tja, und so rast das Raumschiff Erde völlig unberührt von dieser kleinen Episode weiter mit einem Affenzahn durch die Weiten des Alls und in Kürze wird 58.65x.7k5.201 nichts weiter sein als ein geologischer Logbuch-Eintrag, der beim Leser vermutlich nur Unverständnis oder Fremdscham und vielleicht sogar eine kleine Portion Mitleid hervorruft.

Leb wohl, Crew-Mitglied Nr. 58.65x.7k5.201! Viel Spaß noch beim Basteln.

bookmark_borderÜber das VORSTELLBARE

Mein letzter Eintrag liegt nun schon wieder vier Monate zurück, aber dieses Mal wundert es mich nicht so sehr wie beim letzten Mal. In den letzten vier Monaten sind wieder so unglaublich viele Dinge passiert, dass ich mich gar nicht auf ein einzelnes Thema fokussieren konnte.

Ich bin mittlerweile schon zweimal gegen das Corona-Virus geimpft worden und gehöre damit einem wachsenden Anteil der Bevölkerung in Deutschland an. Etwas mehr als die Hälfte der Menschen hat zum jetzigen Zeitpunkt eine Impfung erhalten und knapp ein Drittel ist bereits doppelt geimpft. Das schlägt sich mittlerweile auch deutlich in den Infektionszahlen nieder. In Münster, wo ich gerade zu Besuch bei meiner Mutter und Schwester bin, sind aktuell nach Angaben des Robert-Koch-Instituts nur noch 48 Menschen mit dem Corona-Virus infiziert und die 7-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen, liegt unter 3. Das sind natürlich sehr gute Zahlen und man könnte also meinen, dass wir das Schlimmste hinter uns haben.

Aber ist dem auch so? Können wir mit dem vermeintlichen Sieg über das Virus jetzt wirklich einfach wieder zu unserem „normalen“ Leben vor Corona zurückkehren und weitermachen, als wäre nichts gewesen? Für viele klingt das sicherlich verlockend und irgendwie auch beruhigend, aber ich denke, wir wären gut beraten, wenn wir das nicht tun würden.

Wir sollten versuchen, das Geschehene und seine Ursachen zu verstehen und daraus Rückschlüsse zu ziehen, was wir anders machen können, damit es sich nicht wiederholt. Was jetzt schon – zum Teil sehr erfolgreich – passiert ist, ist die (Mikro-)wissenschaftliche Erforschung des Virus und der Möglichkeiten seiner Bekämpfung. Was aber mindestens genauso wichtig ist, ist das Verständnis des Großen und Ganzen, sprich: Wie ist diese Pandemie in die globalen und historischen Zusammenhänge einzuordnen? Da auch diese Makro-Zusammenhänge sehr komplex und im Detail nur schwer vermittelbar sind, lohnt es sich, eine leichter verständliche und bildliche Geschichte zu erzählen.

Bildlich gesprochen kann man die Corona-Pandemie mit einem Tsunami vergleichen, der sich mit unbändiger Gewalt seinen Weg durchs Land gepflügt hat und dabei viele Todesopfer unter der vollkommen überraschten Küstenbevölkerung gefordert hat. Jetzt gerade befinden wir uns in dem Moment, in dem die erste Welle langsam wieder ins Meer abfließt. Überall um uns herum können wir die Schäden erkennen, die der Tsunami verursacht hat. Viele haben Familienangehörige, Freunde und gute Bekannte zu beklagen, die an Corona gestorben sind. Andere sind arbeitslos geworden oder sehen einer sehr unsicheren Zukunft entgegen. Fast allen tat die Zeit der Isolation in den eigenen vier Wänden nicht gut und sie leiden unter den Folgeerscheinungen häuslicher Gewalt, mangelnder Bewegung und sozialer Vereinsamung.

An dieser Stelle ist es vielleicht noch einmal wichtig, die ganz wesentlichen Merkmale eines Tsunamis hervorzuheben. Neben seiner hohen Zerstörungskraft sind besonders die Tatsachen, dass es sich dabei um mehrere aufeinanderfolgende Flutwellen handelt und die eigentliche Ursache auch durchaus weit entfernt liegen kann, besonders charakteristisch für einen Tsunami.

Wir sollten uns jetzt also fragen, was die Ursache war und mit welchen weiteren Wellen wir noch rechnen müssen. Die Antworten auf diese Fragen sind meiner Meinung nach sehr einfach:

Das Erdbeben, das diesen Tsunami ausgelöst hat, ist die Bevölkerungsexplosion und die mit ihr einhergehende rücksichtslose Ausbeutung der Natur. Die nächsten Wellen, die sich am globalen Horizont schon ganz klar abzeichnen, sind neben weiteren Pandemien das rapide Artensterben, die Klimaerwärmung, die Übersäuerung der Meere und atomare Kriege, um nur einige zu nennen.

Wir wurden also von einem Tsunami getroffen, den wir selbst ausgelöst haben, und wir haben erst die erste Welle überstanden. Jetzt geht es einzig und allein um die Frage, ob wir uns als fähig erweisen werden, die außerordentlich komplexen und instabilen ökologischen Verhältnisse, die wir für uns selbst geschaffen haben, zu überleben.

Es müssen dringend wirkliche Veränderungen her, und dabei geht es nicht mehr um Optimierungen bestehender Strukturen, Prozesse oder Technologien, sondern um eine grundsätzliche Neugestaltung unseres gesellschaftlichen Miteinanders und unserer Wechselwirkung mit diesem Planeten. Alle anstehenden Veränderungen müssen der obersten Prämisse unterliegen, sich vom Postulat des Wachstums zu lösen. Bei einem Krebsgeschwür löst ungehemmtes Wachstum bei jedem größte Besorgnis aus. Wie sollte es in unserem Fall also zwingend positiv sein?

Hiermit könnte ich es für diesen Beitrag eigentlich belassen, aber was an dieser Stelle besonders interessant ist, ist die Tatsache, dass eine Abkehr vom Wachstum für viele von uns kaum vorstellbar zu sein scheint. Genauso war auch die Möglichkeit, von einer globalen Pandemie heimgesucht zu werden, Mitte 2019 für die allermeisten kaum vorstellbar. Uns allen scheint es also an Vorstellungskraft und Fantasie zu fehlen, und das ist schon wirklich bemerkenswert, da es doch gerade diese Eigenschaft ist, die uns Menschen so einzigartig macht.

Kann es also sein, dass wir uns in unserer selbst geschaffenen Welt systematisch unserer eigenen Vorstellungskraft berauben? Beispiele dafür gibt es zumindest zu Genüge – im Alltag, in der Politik, im Beruf oder bei der Erziehung unserer Kinder.

Im Alltag sehen wir es an unserem unreflektierten Umgang mit den neuen Medien. Mit der rasend schnell voranschreitenden Digitalisierung verbringen immer mehr Menschen immer mehr Zeit damit, auf einen Screen zu schauen. Dass die so verbrachte Zeit deutlich weniger Sinneseindrücke erzeugt und die Fantasie dadurch nicht unbedingt stimuliert wird, ist recht offensichtlich.

Aber auch in Politik und Beruf gibt es systemische Fehlstellungen, die dazu führen, dass unsere Vorstellungskraft tendenziell unterdrückt wird.

Aufgrund der Kurzfristigkeit, die durch den politischen Wettbewerb entsteht, fährt die Politik mehr oder weniger auf Sicht, was eine echte Gefahr ist. Es gibt überhaupt keine Ansätze und Versuche mehr, ganz grundsätzliche Änderungen auf struktureller Ebene vorzunehmen, sondern man belässt es bei fantasielosen Versuchen, innerhalb des bestehenden Systems kleinere Anpassungen vorzunehmen. Die Corona-Krise hat ja gezeigt, wozu die Politik grundsätzlich fähig ist und welche Gelder sie mobilisieren kann, aber leider war die Mittelverwendung wieder nur sehr kurzfristig gedacht. Anstatt beispielsweise die breite Bevölkerung durch ein bedingungsloses Grundeinkommen vor der Krise zu schützen und damit einen wirklich vielversprechenden Weg aus der Wachstumskrise einzuschlagen, wurden große Konzerne staatlich unterstützt und hochkomplexe Corona-Hilfen und Überbrückungsgelder bezahlt oder zumindest in Aussicht gestellt.

Im Berufsleben ist vor allem nüchternes und faktenbasiertes Arbeiten gefragt. Wenn man es damit dann aber an die Spitze einer Organisation geschafft hat, dann braucht man genau das Gegenteil: Risikobereitschaft und Fantasie. Aber genau das fehlt den meisten CEOs, weswegen sie als erste Amtshandlung dann auch meist den Bock zum Gärtner machen bzw. McKinsey oder Roland Berger mit der strategischen Neuausrichtung beauftragen.

Auch unser Schulbetrieb scheint mir in dieser Form leider nicht sonderlich förderlich für die Fantasie unserer Kinder zu sein. Ich habe eher die Befürchtung, dass wir unsere Kinder schon ab der ersten Klasse auf eine Karriere bei McKinsey vorbereiten, als dass wir ihre individuellen Stärken, Interessen und Vorlieben fördern.

Als Antwort auf das oben beschriebene Tsunami-Szenario bedarf es also dringend systemischer Antworten auf allen Ebenen, die unsere Fantasie wieder beleben und belohnen. Bildlich gesprochen sind Fantasie und Vorstellungskraft die Abwehrkräfte unserer Gesellschaft. Sie ermöglichen es uns, auf die verschiedensten Bedrohungen zu reagieren. Eine Stärkung dieser Abwehrkräfte – oder zumindest eine Verhinderung ihrer weiteren systematischen Schwächung – würde unsere gesamtgesellschaftliche Resilienz erhöhen. Sie würde uns helfen, die nächsten Wellen klarer vorherzusehen und wirklich neue und sinnvolle Maßnahmen für ihre Abwehr zu ergreifen.